29.10.2020

Molekülrotation als Stoppuhr

Dissoziationsprozesse von Wasserstoffmolekülen mit Hilfe einer angestoßenen Rotation ermittelt.

Wie zerbricht ein Molekül in einem intensiven Laserfeld und welche Prozesse laufen dabei nacheinander wie schnell ab? Dieser Frage sind Forscher am Heidelberger MPI für Kernphysik (MPIK) in Zusammen­arbeit mit einer Forscher­gruppe aus Ottawa in Kanada am Beispiel des Wasserstoff­moleküls mit einer neuen Methode nachgegangen. Hierzu verwenden sie extrem kurze Laserblitze in der Größenordnung von Femtosekunden. Derartige Laserpulse spielen auch eine Schlüsselrolle für die Kontrolle molekularer Reaktionen, da sie direkt auf die Dynamik der für die chemische Bindung verantwortlichen Elektronen Einfluss nehmen.
 

Abb.: Die zwei möglichen Mechanismen der Molekül­spaltung (ATD und EI) im...
Abb.: Die zwei möglichen Mechanismen der Molekül­spaltung (ATD und EI) im Probe-Puls und Nachweis der Fragmente (Bild: MPIK)

Setzt man ein Wasserstoff­molekül einem starken Infrarot-Laserblitz von 800 Nanometern Wellenlänge mit einer Intensität von einigen 1014 Watt pro Zentimeter aus, reißt das elektrische Feld des Lasers zunächst eines der beiden Elektronen heraus. Bei diesem Ionisations­prozess werden mehr als zehn Photonen gleichzeitig absorbiert. Das verbleibende Molekülion ist mit nur noch einem Elektron nicht mehr im Gleichgewicht und beginnt sich durch die Abstoßung der beiden Protonen zu strecken. Dabei kann es durch Absorption weiterer Photonen in ein Proton und ein neutrales Wasserstoff­atom aufbrechen. Diese Reaktion heißt „Dissoziation über der Ionisations­schwelle“ (above threshold dissociation, ATD). Streckt sich aber das Molekülion weiter bis auf einen Kern­abstand von einigen Atomradien, so kann das verbliebene Elektron wie in einer kleinen Antenne resonant vom Laserfeld aufgeschaukelt und schließlich ebenfalls freigesetzt werden. Dieser Mechanismus namens „verstärkte Ionisation“ (enhanced ionization, EI) führt zur „Coulomb-Explosion“ der beiden sich abstoßenden Protonen.

Diese Prozesse untersuchen die Forscher im Laserlabor des MPIK mit einem Reaktions­mikroskop, das es erlaubt, alle geladenen Fragmente (Protonen, Elektronen) nach der Molekül­spaltung nachzuweisen. Die Femtosekunden-Laserpulse werden darin auf einen dünnen Überschallstrahl aus Wasserstoff­molekülen fokussiert, um die gewünschte Intensität zu erreichen. Anhand ihrer kinetischen Energie lassen sich Protonen aus dem ATD- und EI-Prozess unterscheiden.

Offensichtlich braucht EI etwas mehr Zeit als ATD, aber wieviel und lässt sich dies messen? Hier ergibt sich ein Problem mit der Dauer des Laserblitzes: Er muss mit zirka 25 Femto­sekunden lang genug sein, um diese Prozesse in Gang zu setzen, aber zugleich kurz genug, um eine präzise Zeitinformation zu erhalten (wenige Femto­sekunden). Da dies nicht erfüllbar ist, nutzten die Forscher folgenden Trick: Im Prinzip enthält jedes Molekül eine Art „innerer Uhr“, da es zur Rotation angeregt werden kann.

Ein erster, etwas schwächerer Pump-Puls regt das Molekül zur Rotation an, dann löst ein zweiter, etwas stärkerer Probe-Puls mit zeitlich variabler Verzögerung die Fragmentation (ATD bzw. EI) aus. Beide Prozesse hängen empfindlich von der Ausrichtung der Molekülachse relativ zur Schwingungs­ebene des elektrischen Feldes ab – sie sind am wahrscheinlichsten, wenn beide parallel sind. Die beiden Laserpulse sind senkrecht zueinander linear polarisiert, um Fragmentations­ereignisse aus dem ersten Puls aussortieren zu können.

Die Ausbeute an ATD- und EI-Ereignissen zeigt im Experiment ein nahezu regelmäßiges Auf und Ab, entsprechend der Rotation des Moleküls. Bei näherer Analyse ist aber eine leichte Verzögerung von rund 5,5 Femtosekunden für EI gegenüber ATD sichtbar. Dies ist die typische Zeit, welche das Molekülion zusätzlich braucht, um sich so weit zu strecken, bis das Elektron resonant an das Laserfeld koppelt. Mittels theoretischer Modell­rechnungen lassen sich weitere Details extrahieren und darüber hinaus die experimentellen Resultate in sehr guter Übereinstimmung rekonstruieren. Das Experiment wurde auch mit dem schwereren Isotop Deuterium durchgeführt. Hier beträgt die Verzögerung rund 6,5 Femto­sekunden. Dies ist etwas weniger als der aufgrund des Massen­verhältnisses erwartete Wert. Ursache ist hier die langsamere Bewegung von Deuterium, das erst nach rund 20 Femto­sekunden den EI-Bereich erreicht, wofür bei 25 Femto­sekunden Dauer des Laserpulses kaum genügend Zeit bleibt.

Die beschriebene Methode einer „Rotationsuhr“ lässt sich prinzipiell auf ähnliche mehr­schrittige Reaktionen in anderen Molekülen anwenden und bildet damit womöglich sogar die Basis für einen generellen Zugang zur Kontrolle molekularer Dynamik. 

MPK / DE
 

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