16.12.2020

Milchstraße unter Schock

Röntgenteleskop eRosita entdeckt riesige Blasenstrukturen in der Milchstraße.

Sie ist fast so groß wie die gesamte Milchstraße, kreisrund und absolut außergewöhnlich – so könnte man die Struktur beschreiben, die Forscher bei der ersten kompletten Himmels­durchmusterung mit dem deutschen Röntgen­teleskop eRosita an Bord der russischen Raumsonde Spektrum-Röntgen-Gamma (SRG) am Südhimmel entdeckt haben. Gemeinsam mit einer ähnlichen Struktur am Nordhimmel – der sogenannte „Nordpolar-Sporn“ – erinnern beide Blasen an eine über­dimensionale, galaktische Sanduhr. Eigentlich dachten Forscher, diese nördliche Erscheinung, die schon 1993 mit dem deutschen Rosat-Röntgen­teleskop kartiert wurde, stamme von einer frühen Supernova-Explosion. Doch zusammen­genommen scheinen die nördliche und die südliche Struktur stattdessen beide aus dem galaktischen Zentrum auszutreten. 
 

Abb.: Die eRosita-Blasen (Bild: MPE / IKI)
Abb.: Die eRosita-Blasen (Bild: MPE / IKI)

„Die wahrscheinlichste Erklärung für diese enormen Gebilde ist, dass vor einigen zehn Millionen Jahren unfassbar viel Energie aus dem galaktischen Zentrum in die heiße Gashülle (Halo) um unsere Galaxie ausgestoßen wurde, was eine schnelle, große Schockwelle ausgelöst hat. Welches Ereignis dahinter steckt, ist noch nicht ganz geklärt. Möglicherweise handelte es sich um einen Ausbruch des schwarzen Lochs, um das unsere Milchstraße kreist. Wenn große Mengen Materie eingesaugt werden, kommt es zu diesen gewalt­tätigen Eruptionen. Es kann aber auch sein, dass dieses Ereignis auf eine intensive Phase der Sternen­entstehung zurückzuführen ist“, erklärt Thomas Mernik, eRosita-Projektleiter im Raumfahrt­management des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), mit dessen Unterstützung eRosita vom Max-Planck-Institut für Extra­terrestrische Physik (MPE) gebaut wurde. 

Schon vor zehn Jahren sorgte die Entdeckung ähnlicher Blasen durch das US-amerikanische Weltraum­teleskop Fermi für Furore. Diese Strukturen – Fermi-Blasen genannt – sind etwa halb so groß wie die eRosita-Blasen und im höher­energetischeren Gamma-Bereich sichtbar. Das Funktions­prinzip ist vermutlich das gleiche. Wahrscheinlich sind beide Phänomene sogar Ausdruck desselben unterliegenden Mechanismus: Damit sie entstehen können, muss extrem viel Energie freigesetzt werden. Sie entspricht etwa 100.000 Sternen­explosionen. Das bedeutet, dass das Zentrum unserer Milch­straße in der Vergangenheit nicht immer ein so ruhiger Ort war wie heutzutage. Tatsächlich kann man bei anderen Galaxien durchaus beobachten, dass ihre Zentren äußerst aktiv sind. Bei solchen aktiven Galaxien­kernen sieht man gewaltige Ströme von Plasmajets, die entlang ihrer Drehachse in das inter­galaktische Medium geschleudert werden.

„Diese Schockwellen wirken wie Teilchen­beschleuniger und katapultieren Elektronen auf Geschwindig­keiten nahe der Lichtgeschwindigkeit. Wenn diese Plasma­ausstöße auf die umliegende Halo der Milchstraße treffen, erzeugen sie dort Störungen in der gleichmäßigen Struktur. Da Halos eine Temperatur von Millionen von Grad haben, kann man sie jedoch nur mit einem Röntgen­teleskop wie eRosita sichtbar machen“, erklärt Mernik. Die vom deutschen Röntgen­teleskop gelieferten Daten ermöglichen nun einen Blick in die wilde Vergangenheit der Milchstraße. 

Doch vieles bleibt noch ungewiss. Weitere Erkenntnisse erhoffen sich die Forscher von den noch folgenden Himmels­durchmusterungen. Denn die eRosita-Bubbles wurden während der allerersten von insgesamt acht Surveys entdeckt. Mit jeder weiteren Himmels­durchmusterung werden die Wissenschaftler mehr Informationen sammeln. Insbesondere die Spektren von Teilbereichen dieser Gebilde werden es ermöglichen, die Fülle der chemischen Elemente, den Grad ihrer Ionisierung und die Dichte und Temperatur des Gases in den Blasen präziser untersuchen zu können. Die Forscher können damit auch die Position der Schockwellen besser bestimmen und abschätzen, wann Materie ausgestoßen wird. „All diese Informationen könnten zukünftig dazu beitragen, dass wir die Entwicklung unserer Galaxie besser verstehen“, betont Mernik.

Doch warum ist diese riesige galaktische Sanduhr anderen Röntgen­teleskopen bislang verborgen geblieben? „Man benötigt dafür ein Teleskop mit einer hohen Empfindlichkeit und Auflösungs­vermögen einerseits und einem großen Gesichtsfeld andererseits. Betrachtet man nur kleine Himmels­ausschnitte, kann man so gigantische Strukturen nicht erkennen. Die sprichwörtliche Nadel wird zu groß für den Betrachter des Heuhaufens. Das eRosita-Instrument wurde aber vom MPE für genau diesen Zweck gebaut – nämlich um den gesamten Röntgenhimmel zu kartieren“, erklärt Mernik. „Es ist eine Entdeckungs­maschine für die größten Strukturen im Universum.“

DLR / DE
 

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