02.12.2020

Mikroskop aus dem 3D-Drucker

Baukasten-System UC2 reduziert Kosten um ein Vielfaches.

Mikroskope, die biologische Prozesse sichtbar machen, kosten viel Geld, stehen in Spezial­laboren und erfordern hoch qualifiziertes Personal. Ein Forschungs­team vom Jenaer Leibniz-Institut für Photonische Techno­logien, der Friedrich-Schiller-Universität und dem Uniklinikum Jena hat nun einen optischen Baukasten entwickelt, mit dem sich für wenige Hundert Euro Mikroskope bauen lassen, die so hochauflösende Bilder liefern wie kommerzielle Mikroskope. Mit quelloffenen Bauplänen, Komponenten aus dem 3D-Drucker und Smartphone-Kamera lässt sich das Baukasten-System UC2 – You. See. Too. – so kombinieren, wie die Forschungs­frage es erfordert – von der Langzeit­beobachtung lebender Organismen im Inkubator bis zum Einsatz in der Optik-Ausbildung. 

Abb.: Das Entwickler­team Benedict Diederich, René Lachmann und Barbora...
Abb.: Das Entwickler­team Benedict Diederich, René Lachmann und Barbora Maršíková mit einem aus ihrem optischen Baukasten zusammen­gestellten Mikroskop. (Bild: Leipzig-IPHT)

Grundbaustein des UC2-Systems ist ein 3D-druckbarer Würfel mit einer Kantenlänge von fünf Zentimetern, in den Komponenten wie Linsen, LEDs oder Kameras eingebaut werden können. Mehrere solcher Würfel werden auf eine magnetische Raster-Grundplatte gesteckt. Geschickt angeordnet, entsteht aus den Modulen so ein leistungsfähiges optisches Instrument. Ein optisches Konzept, bei dem Brennebenen aufeinander­folgender Linsen aufeinander fallen, ist Grundlage der meisten komplexen optischen Aufbauten, so auch modernen Mikroskopen. Mit dem UC2-Baukasten macht das Forschungs­team von Doktoranden der Arbeitsgruppe Mikroskopie von Rainer Heintzmann vom Leibniz-IPHT und der Universität Jena dieses inhärent modulare Verfahren praktisch erfahrbar. So gibt UC2 auch Nutzenden ohne technische Ausbildung ein optisches Werkzeug an die Hand, das sie verwenden, umändern und erweitern können — je nachdem, was sie erforschen.

Helge Ewers, Professor für Biochemie an der Freien Universität Berlin und der Charité, nutzt den UC2-Baukasten, um Krankheits­erreger zu untersuchen. „Das UC2-System erlaubt es uns, zu geringen Kosten ein hochqualitatives Mikroskop herzustellen, mit dem wir in einem Inkubator lebende Zellen beobachten können“, berichtet er. Damit erschließt UC2 Einsatz­gebiete für die biomedizinische Forschung, für die sich herkömm­liche Mikroskope nicht eignen. „Kommerzielle Mikroskope, mit denen sich Pathogene über einen längeren Zeitraum untersuchen lassen, kosten das Hundert- bis Tausendfache unseres UC2-Aufbaus“, so Benedict Diederich, Doktorand am Leibniz-IPHT, der den optischen Baukasten dort gemeinsam mit René Lachmann entwickelte. „Die schleust man kaum in ein kontaminiertes Labor ein, aus dem man sie gegebenen­falls nicht mehr herausholen kann, weil die Reinigung nicht ohne Weiteres möglich ist.“ Das aus Kunststoff hergestellte UC2-Mikroskop hingegen ließe sich nach erfolgreichem Einsatz im biologischen Sicherheits­labor einfach verbrennen oder recyceln. Für eine Studie am Universitäts­klinikum Jena hat das UC2-Team über einen Zeitraum von einer Woche die Entwicklung von Monozyten zu Makrophagen im Inkubator beobachtet, um das Wachstums- und Ernährungs­verhalten dieser Fresszellen des Immunsystems zu untersuchen.

Bauen nach dem Lego-Prinzip weckt nicht nur den inneren Spieltrieb der Nutzenden, beobachtet das UC2-Team, sondern eröffnet Forschern auch neue Möglich­keiten, sich ein Werkzeug genau für ihre Forschungs­frage maßzu­schneidern. „Mit unserer Methode lässt sich schnell das passende Gerät zusammenstellen, um bestimmte Zellen abzubilden“, erläutert Diederich. „Wird beispiels­weise eine rote Wellenlänge als Anregung benötigt, baut man einfach den passenden Laser ein und tauscht den Filter. Braucht man ein inverses Mikroskop, stapelt man die Würfel entsprechend.“ Mit dem UC2-System lassen sich Elemente je nach benötigter Auflösung, Stabilität, Dauer oder Mikroskopie­methode kombinieren und im Rapid Prototyping-Verfahren direkt testen.

Baupläne und Software archivieren die Forschenden auf dem frei zugänglichen Online-Repositorium GitHub, so dass jeder weltweit darauf zugreifen, die Aufbauten nachbauen, umändern und erweitern kann. „Mit dem Feedback der Nutzenden verbessern wir das System Stück für Stück und ergänzen es um immer neue kreative Lösungen“, sagt René Lachmann. Die ersten Nutzer hätten bereits begonnen, das System für sich und ihre Zwecke selbstständig zu erweitern. „Wir sind gespannt, wann wir die ersten Benutzer­lösungen vorstellen können.“ Dahinter steht das Ziel, eine offene Wissenschaft zu ermöglichen. Dank der ausführlichen Dokumen­tation können Forscher überall auf der Welt, auch jenseits gut ausge­statteter Labore, Experimente reproduzieren und weiter­entwickeln. 

Um auch jenseits der wissen­schaftlichen Community junge Menschen für Optik zu begeistern, hat das Forschungsteam einen Baukasten speziell für die Ausbildung an Schulen und Universitäten entwickelt. „UC2: The Box“ enthält einen ausgeklügelten Bausatz, mit dem Nutzer optische Konzepte und Mikro­skopie-Methoden kennenlernen und ausprobieren können. „Die Bauteile lassen sich zum Projektor oder zum Teleskop kombinieren; man kann sich ein Spektrometer oder ein Smartphone-Mikroskop bauen“, erläutert Barbora Maršíková, die die Experimente erarbeitet und mit dem UC2-Team in mehreren Workshops in Jena über die USA, Groß­britannien und Norwegen getestet hat. In Jena haben die jungen Forscher ihr Baukasten bereits an mehreren Schulen eingesetzt und beispiels­weise Schülerinnen und Schüler dabei unterstützt, sich ein Fluoreszenz-Mikroskop zu bauen, um Mikroplastik nachzuweisen. „Wir haben UC2 mit unserem Smartphone kombiniert. So konnten wir ohne größeres optisches Vorwissen kostengünstig unser eigenes Mikroskop bauen und eine vergleichbar einfache Methode erarbeiten, um Plastik­partikel in Kosmetika aufzuspüren“, berichtet Emilia Walther von der Montessorischule Jena.

IPHT / JOL

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