16.09.2020

Links- oder rechtshändig?

Mikroskop-Spektrometer kann Chiralität einzelner Nanoteilchen nachweisen.

Wissenschaftler der Forschungsgruppe Mikro-, Nano- und Molekulare Systeme am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme haben ein neuartiges Mikroskop-Spektrometer entwickelt, mit dem sie ein einzelnes Nanoteilchen in Echtzeit beobachten können. So konnten sie erstmals die Händigkeit eines einzelnen, sich frei in Lösung bewegenden Nanoteilchens bestimmen. Diese Forschungs­arbeit ebnet den Weg für optische Messungen mit hohen Bestimmungs­genauigkeiten bis hin zu Untersuchungen einzelner Moleküle und Proben von extrem niedrigen Volumina. 

Abb.: Neuartiges Mikroskop erkennt die Händigkeit eines einzelnen...
Abb.: Neuartiges Mikroskop erkennt die Händigkeit eines einzelnen Nanoteilchens. (Bild: MPI IS)

Fast alle Biomoleküle, inklusive Zucker, DNA, Aminosäuren und Proteine, kommen sowohl in einer linkshändigen als auch in einer rechtshändigen Form vor. Jedoch nehmen in der Natur die meisten Biomoleküle nur jeweils eine der zwei möglichen Formen ein. Der Grund für diese Chiralität ist eine der großen ungelösten Fragen in der Wissenschaft. Folglich sind alle lebenden Organismen, viele Objekte und die meisten Pharmazeutika chiral. Daher ist es wichtig, die Händigkeit von Proben bestimmen zu können. Das kann mit Hilfe von links- oder rechts­drehendem polarisierten Licht geschehen. Ein rechts­händiges Objekt absorbiert und streut das rechts­drehende Licht anders als ein linkshändiges Objekt. Da die ermittelten Unterschiede sehr gering sind, verwenden übliche Instrumente Milliarden von Teilchen (Partikel oder Moleküle) zur Bestimmung der Chiralität. Das bedeutet, es werden große Proben benötigt, die zum einen teuer sein können und zum anderen dazu führen, dass interessante Details der individuellen Teilchen aufgrund von Mittelungen über die Menge aller Teilchen verloren gehen.

Den Stuttgarter Wissenschaftlern ist es nun gelungen, die Händigkeit einer einzelnen Nano­struktur zu bestimmen. Sie untersuchen metallische Nano­strukturen, die als optische Antennen dienen und optische Signale deutlich verstärken können. Aus diesem Grund dienen Gold- und Silber-Nanostrukturen üblicherweise als Proben für optische Spektroskopie – und sind ebenso viel­versprechend als Proben für die chirale Spektroskopie. Jedoch erfordert die Bestimmung der Händigkeit, den Unterschied zwischen links- und rechtsdrehender Polarisation zu messen. Bisher musste die jeweilige Nanostruktur an einer Oberfläche fixiert werden, während zwei unabhängige Messungen für links- und rechts­drehende Polarisation durchgeführt wurden. Das erzeugte eine beträchtliche Zahl von Artefakten und konnte sogar dazu führen, dass nicht-händige Objekte chiral erschienen. 

Das neuartige, von den Stuttgarter Wissenschaftlern entwickelte Mikroskop-Spektrometer registriert beide Polarisationen simultan und erlaubt erstmals, ein sich dynamisch bewegendes, einzelnes Nanoteilchen in Lösung zu beobachten. Mit diesem Ansatz ist es nun möglich, erstmals das wahre chirale Spektrum eines einzelnen Nanopartikels aufzuzeichnen. So liefert das Mikroskop eine neue Messgrösse, die zuvor unzugänglich war. 

„Bei der klassischen Methode messen wir den Durchschnitt von Milliarden von Nanoteilchen. Als Folge von unvermeidbaren Unreinheiten während der Herstellung der Nano­strukturen ist das aufgezeichnete Signal immer nur ein Mittelmaß von vielen leicht voneinander abweichenden Formen. Im Gegensatz dazu ist unser neuartiges Mikroskop-Spektrometer in der Lage, eine einzelne Nano­struktur zu untersuchen”, sagt Peer Fischer, der als Leiter der Forschungs­gruppe für Mikro-, Nano- und molekulare Strukturen die Forschungs­arbeit betreut hat und Professor an der Universität Stuttgart ist.

Eine größere Herausforderung war, eine neuartige Versuchsanordnung zu entwickeln, die simultan – also mit nur einer Belichtung – die rechts- und links­drehenden Spektren bestimmt. „Das Konzept ist ebenso einfach wie genial, weil es nur feststehende Polarisations­optik zur räumlichen Trennung des links- und rechts­drehenden Lichts verwendet, um es letzt­endlich auf verschiedenen Bereichen eines speziellen Kamera­detektors abzubilden” erläutert Johannes Sachs. 

Die Wissenschaftler können das Mikroskop nutzen, um die optischen Spektren von Nano­partikeln in Echtzeit zu bestimmen und somit zeit­aufgelöste Messungen durchzuführen. Dieses neuartige Instrument macht deutlich, wie empfindlich das chirale Spektrum eines einzelnen Nanoteilchens von seiner Orientierung abhängt. Desweiteren konnte das Forscherteam zeigen, dass sie die Brownsche Bewegung nutzen können, um die Nanoteilchen aus allen Winkeln zu beobachten. Dies liefert die gleiche Information wie das bei den üblicherweise an gemittelten Proben gemessene Spektrum – jedoch beobachtet an einem einzelnen Teilchen an Stelle von mehreren Milliarden Teilchen. 

Die Forscher sind sich sicher, dass ihre Erkenntnisse und das neue Konzept eine viel­versprechende Plattform bieten wird für künftige Anwendungen. „Die Beobachtung von einzelnen Teilchen erlaubt es, mit extrem kleinen Probenvolumina und hoher räumlicher Auflösung zu arbeiten, zum Beispiel innerhalb von individuellen Zellen” sagt Johannes Sachs. Zudem ist das Spektrum eines einzelnen metallischen Nanoteilchens hochempfindlich gegenüber Veränderungen seiner direkten Umgebung, beispielsweise wenn ein anderes Teilchen in seine Nähe kommt oder wenn ein an ihm fixiertes Protein seine Faltung ändert. „Somit kann die Möglichkeit, das chirale Spektrum eines einzelnen Teilchens zeit­aufgelöst untersuchen zu können, lokale Reaktions­prozesse im Detail deutlich machen – und ist damit interessant für die Erforschung von biochemischen, medizinischen oder biologischen Prozessen. Das würde in konventionellen Messungen, die die Reaktionen einer großen Zahl an Teilchen mitteln, verdeckt bleiben”, betont Jan-Philipp Günther. 

MPI-IS / DE

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