22.04.2020

Kunstwerke mit Neutronen schützen

Gefährliche Effekte bei Restaurierungen im Neutronenlicht identifiziert.

Kunstwerke halten nicht ewig. Dies gilt besonders für Gemälde, die aufgrund ihres Aussehens geschätzt werden, deren Zustand sich aber durch physikalische Prozesse wie die Ablagerung von Staub und Ruß aus der Luft, Oxidation und Angriffe durch freie Radikale unweigerlich mit der Zeit verschlechtert. So kann es vorkommen, dass ein einst farbenfrohes Gemälde nach fünfzig bis hundert Jahren in der Stadtluft gleichmäßig braun, schwarz oder weiß erscheint und sein Schutzlack trüb, rissig und unregelmäßig geworden ist.
 

Abb.: Das Bildnis von Olivia Boteler Porter von Anthonis van Dyck vor und nach...
Abb.: Das Bildnis von Olivia Boteler Porter von Anthonis van Dyck vor und nach der Restaurierung (Bild: BBC)

Um diese Effekte zu mildern, werden alte Gemälde regelmäßig restauriert. Eine Restaurierung ist ein bedeutender Eingriff. Er zielt darauf ab, das ursprüngliche Erscheinungs­bild des Gemäldes wiederherzustellen, indem ein Großteil des Lacks, der die Farbschicht bedeckt, gelöst und ersetzt wird. Darüber hinaus werden Teile der pigmentierten Schicht aufgefrischt, es werden Schmutz­partikel entfernt, die sich an der Oberfläche der Lackschicht abgelagert haben, und Hohlräume gefüllt, die bei versehentlichem Kontakt mit Wasser entstanden sein können. 

Typischerweise ist ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert bereits vier Mal restauriert worden, wobei jeder dieser Vorgänge die Zusammensetzung und den Zusammenhalt dieses Verbund­werkstoffs an bestimmten Stellen erheblich verändert. Man hört oft, dass das 20. Jahrhundert das Jahrhundert war, in dem die größte Anzahl von Gemälden beschädigt wurde – und zwar nicht durch Kriege oder Natur­katastrophen, sondern durch geplante Restaurierungs­maßnahmen. Um Zerstörungen dieser Art zu vermeiden, ist dringend ein besseres Verständnis der Prozesse erforderlich, die bei der Restaurierung eingesetzt werden oder die später als Folge einer Restaurierung stattfinden.

Dabei geht es um grundlegende Polymerphysik. Wissenschaftler haben deshalb eine Reihe von Methoden entwickelt, die sich auf Neutronen­strahl­instrumente des weltweit führenden Neutronen­forschungs­instituts Institut Laue-Langevin (ILL) stützen, um diese Prozesse gründlich zu untersuchen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten es möglich machen, automatisierte Restaurierungs­methoden zu entwickeln, die für Kunstwerke vor allem auch langfristig völlig harmlos sind. 

Eine elementar wichtige Aufgabe bei der Restaurierung ist das Entfernen des beschädigten oder undurchsichtig gewordenen äußeren Teils der Lackschicht und das Auftragen eines neuen, transparenten Lacks. In der Regel verwenden Restauratoren ein mit Lösungsmittel getränktes Reinigungs­stäbchen, um die Lösung auf die Lackschicht des Gemäldes aufzutragen und den oberen Teil dieser Schicht dann bei minimaler Scherwirkung mit dem Tupfer zu entfernen. 

Das Gemälde ist dann stark gefährdet, wenn zu viel Lösungs­mittel aufgetragen wird, so dass es die Lackschicht durchdringt. An solchen Stellen kann das Lösungsmittel den Zusammenhalt des Verbundes schwächen, Risse verursachen und Kapillar­brücken schaffen, die Spannungen auf das Material ausüben. Eine wesentliche Verbesserung in der Kunst­restaurierung kam mit der Einführung von Hydrogelen, die eine definierte Menge von Lösungs­mittel enthalten und daher bessere Kontrolle darüber bieten, wie viel Lösungsmittel auf den Lack übertragen wird. Dennoch bleibt die endgültige Verteilung des Lösungsmittels in der Lackschicht ein großes Problem. Die Gefahr, die bei der Restaurierung für ein Gemälde besteht, kann von Fall zu Fall unterschiedlich sein.

Das „gefährliche“ Szenario: Schäden sind am wahrscheinlichsten, wenn das Konzentrations­profil des Lösungsmittels in der Lackschicht gleichförmig ist. In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass ein Teil der Lösungsmittelmoleküle die gesamte Lackschicht diffundiert und in die Farbschicht eindringt, entweder sofort oder nach Abschluss der Restaurierungs­arbeiten.

Das „sichere“ Szenario: Schäden sind weniger wahrscheinlich, wenn das Konzentrations­profil des Lösungs­mittels im Lack eine Stufen­funktion ist. Dabei liegt fast kein Lösungs­mittel im unteren Teil der Lackschicht vor, die in Kontakt mit der Farbschicht ist, während der äußere Teil des Lacks eine hohe Konzentration von Lösungs­mittel aufweist. Die beiden Bereiche werden durch eine „Front“ getrennt, an der die Makromoleküle von „glasig“ zu „mobil“ wechseln. Diese Migration kleiner Moleküle in eine dichte Polymermatrix wird auch als „Diffusion des zweiten Typs“ bezeichnet, weil die Rate der Penetration und Migration von der Mobilität des Polymer­netzes abhängt und damit von der Konzentration kleiner Moleküle, die bereits in das Polymer­netz eingedrungen sind.

Die Forscher haben das Entfernen von Lack­schichten auf festen Untergründen durch organische Lösungs­mittel untersucht, wie sie bei der Restaurierung von Staffelgemälden verwendet werden. Dabei testeten sie ein vorgeschlagenes Restaurierungs­konzept, bei dem das Lösungs­mittel (Benzylalkohol) mit Wasser verdünnt wird, um die Menge an „aggressivem“ Lösungs­mittel im System zu begrenzen. 

Dabei beobachteten sie, dass über einer kritischen Lösungs­mittel­konzentration aufgrund des vorhandenen Wassers eine Entnässung des gesamten Lacks (anstelle einer kontrollierten Auflösung) erfolgen kann. Dies hätte katastrophale Folgen für das Gemälde, da die Pigmentschicht dadurch der Reinigungs­flüssigkeit ausgesetzt würde.

Der zentrale Teil des Forschungs­projekts beinhaltete die Verwendung von Neutronen­reflekto­metrie auf dem Figaro-Instrument, um das Tiefen­profil der Lösungs­mittel­konzentration in der Lackschicht zu bestimmen, die zwischen einer Schicht von Wasser und Lösungs­mittel und einem Einkristall-Siliziumsubstrat eingeschlossen war. Die Dicke der Lackschicht betrug rund 100 Nanometer und sie wurde durch ein Spin-Coating-Verfahren vorbereitet. Ergänzende Messungen wurden mit Hilfe von Atom­kraft­mikroskopie durchgeführt.

Die Untersuchung dieses häufig verwendeten Restaurierungs­systems mittels hochauflösender Neutronen­reflekto­metrie zeigte, dass erhöhte Konzentrationen von Lösungs­mittel und längere Exposition die Bildung und das Wachstum von wassergefüllten Hohlräumen verursachen, was seinerseits zu einem Zerfall des Lacks führt. In Zukunft sollten Erwartungen hinsichtlich des Verhaltens von Lösungs­mittel­mischungen bei der Restaurierung von Staffel­gemälden daher revidiert werden. 

Die Ergebnisse dieser Studie könnten jetzt die Grundlage für neue Standards bilden, die zu sichereren Restaurierungs­prozessen führen und den Weg für die Einführung automatisierter Techniken bereiten könnten. Menschliche Intervention und Überwachung wird jedoch absolut notwendig bleiben, um zu gewährleisten, dass Maschinen, die den Prozess ausführen, zu allen Zeiten „sicher“ für den Lack bleiben. 

ILL / DE
 

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