07.12.2022

Kosmisches Röntgen-Rätsel gelöst

Genaue Analyse der Intensitäten wichtiger Emissionslinien von Eisen.

Ein internationales Team unter Leitung des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik hat mit einem hoch­präzisen Experiment ein Jahrzehnte währendes Problem der Astrophysik gelöst: Die im Labor gemessenen Intensitäts­verhältnisse wichtiger Strahlungs­linien von Eisen wichen bislang von den berechneten ab, und damit herrschte auch Unklarheit über die aus den Röntgen­spektren abgeleiteten Zustände sehr heißer Gase, wie in der Korona der Sonne oder der Umgebung schwarzer Löcher. Mit den neuen experimentellen Daten wurde nun eine Übereinstimmung mit der Theorie erreicht. Damit können Röntgendaten von Weltraum­teleskopen zukünftig mit hohem Vertrauen an die dahinter liegenden Atommodelle analysiert werden.

Abb.: Gemessenes Röntgen-Fluoreszenz-Spektrum mit den Emissions­linien 3C und...
Abb.: Gemessenes Röntgen-Fluoreszenz-Spektrum mit den Emissions­linien 3C und 3D von Fe-XVII, sowie B and C von Fe XVI. Im Hintergrund die Sonne im Röntgenlicht. (Bild: NASA / NuSTAR / SDO)

Im Weltraum befindet sich mehr als 99 Prozent der gesamten sichtbaren Materie im Plasmazustand; es ist so heiß, dass die Atome ein oder mehrere Elektronen verloren haben und als positiv geladene Ionen vorliegen. Extrem heiße Plasmen mit Temperaturen von mehr als eine Million Grad gibt es zum Beispiel in der während einer totalen Sonnen­finsternis sichtbaren Korona der Sonne. Darüber hinaus findet man sie in der Umgebung von schwarzen Löchern oder als inter­galaktisches Gas zwischen den Galaxien. Die von solchen Plasmen ausgesandte Röntgen­strahlung weist die Finger­abdrücke der in ihnen befindlichen chemischen Elemente auf. Sehr prominent sind Emissionslinien von mehrfach ionisiertem Eisen, insbesondere Fe XVII, das von seinen ursprünglichen 26 Elektronen 16 verloren hat. Denn Eisen ist unter den schweren Elementen häufig und Fe XVII über einen breiten Temperatur­bereich vertreten.

Bei der Analyse eines Röntgen­spektrums vergleicht man neben den Energien der Emissions­linien unter anderem die Intensitäts­verhältnisse charak­teristischer Linien. Um daraus auf die Eigenschaften des kosmischen Plasmas schließen zu können, muss man diese Intensitätsverhältnisse gut kennen. Das ist möglich, indem man sie theoretisch berechnet und im Labor experimentell überprüft. Und genau das war bislang das Problem: Quanten­mechanische Rechnungen und Labor­ergebnisse des Intensitäts­verhältnisses von zwei starken Linien namens 3C und 3D wichen um etwa zwanzig Prozent voneinander ab und stellten unser Verständnis atomarer Struktur und das Vertrauen in die genutzten Modelle in Frage.

Das war nicht nur ein Problem für die Astronomen, sondern auch für die Physiker, denn wo lag der Fehler, in der Theorie oder dem Experiment? Vor zwei Jahren hatte das Team um Doktorand Steffen Kühn das bis dahin genauestes Experiment durchgeführt, und auch damals blieb eine unerklär­bare Diskrepanz bestehen. Das Theorieteam um Natalia Oreshkina und Zoltan Harman, sowie Marianna Safronova und Charles Cheung in den USA und Julian Berengut in Australien hatten Supercomputer genutzt, um die Emissions­linien 3C und 3D von Fe-XVII mit höchster Präzision erneut zu berechnen: Die Diskrepanz sowie die Frage­stellung blieben. „Wir waren überzeugt alle damals bekannten systematische Effekte bei der Messung im Griff zu haben“, erinnert sich Kühn. Doch in einem letzten Anlauf wollte er und das Forscherteam geleitet von José Crespo der Sache auf den Grund gehen: Anstelle des Intensitäts­verhältnisses der beiden Linien versuchte man die absolute Stärke der einzelnen Übergänge, auch Oszillator­stärke genannt, zu vermessen. Doch um diese indivi­duellen Linienstärken zu vermessen und den Übeltäter der beiden Linien in der theoretischen Betrachtung zu identi­fizieren, musste die Qualität der Messdaten erheblich verbessert werden.

Für diese knifflige Messung hat Kühn im Rahmen seiner Doktorarbeit eine Apparatur – PolarX-Electron Beam Ion Trap – verwendet, die im Rahmen eines Projekts von Postdoc Sonja Bernitt gebaut worden war. In ihr werden Eisen-Ionen durch einen Elektronen­strahl produziert und in einem Magnetfeld gefangen. Dabei entfernt der Elektronenstrahl die äußeren Elektronen der Eisen-Ionen, bis das gewünschte Fe XVII vorliegt. Dann werden die gefangenen Eisen-Ionen mit Röntgenlicht geeigneter Energie bestrahlt, sodass sie leuchten. Dafür muss die eingestrahlte Energie der Röntgenphotonen variiert werden, bis die gesuchten Linien exakt getroffen werden. Da handels­übliche Quellen die benötigte Röntgen­strahlung nicht produzieren können, musste die PolarX-EBIT zum Desy nach Hamburg transportiert werden. Dort erzeugt das Synchrotron Petra III einen Röntgenstrahl, dessen Energie sich über einen bestimmten Energiebereich durchstimmen lässt. Auf diese Weise regt man die Eisen-Ionen zur Emission von Röntgen­strahlung an, die dann in Abhängigkeit von der eingestrahlten Photonen­energie spektral analysiert wird.

Mit trickreichen Verbesserungen an der Apparatur und am Messschema gelang es Kühn mit seinen Kollegen Moto Togawa, René Steinbrügge und Chintan Shah, in langen Tagen und kurzen Nächten an der Petra III-Strahlröhre die Auflösung der Spektren im Vergleich zu ihrer vorherigen Messung noch einmal zu verdoppeln und den störenden Untergrund, wie er bei jeder Messung auftritt, um einen Faktor tausend zu unterdrücken. Die enorm verbesserte Daten­qualität brachte den Durchbruch: Erstmals konnten die zu untersuchenden Emissionslinien vollständig von benach­barten Linien getrennt werden. Außerdem ließen sich die Linien 3C und 3D nun bis zum äußersten Rand vermessen. „In den bisherigen Messungen waren die Flügel dieser Linien im Untergrund versteckt, was zu einer fehlerhaften Interpretation der Intensitäten geführt hatte“, erklärt Kühn. Damit ist auch Maurice Leutenegger vom Nasa Goddard Space Flight Center hochzufrieden, der als Experte für Röntgen­astrophysik am Experiment mitbeteiligt war: Das Endergebnis stimmt nun hervorragend mit den theo­retischen Vorhersagen überein.

Damit ist das Vertrauen in die quanten­mechanischen Rechnungen gestärkt, mit denen astrophysikalische Spektren analysiert werden. Dies gilt besonders für Linien, für die es keine experimen­tellen Vergleichs­werte gibt“, verdeutlicht Kühn die Bedeutung des neuen Resultats. Und die Spektren der Weltraum­teleskope können nun mit höherer Genauigkeit ausgewertet werden. Das betrifft auch zwei große Röntgen­observatorien, die demnächst ins All gelangen sollen: Das unter japanischer Leitung gebaute X-Ray Imaging Spectroscopy Mission (XRISM, Start im Mai 2023) und das Athena X-Ray Observatory der Euro­päischen Weltraum­organisation ESA (Start in den frühen 2030er Jahren).

MPIK / JOL

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