04.08.2020

Higgs zerfällt in zwei Myonen

Higgs-Boson wechselwirkt erstmals mit Elementarteilchen der zweiten Generation.

Auf der 40. Inter­nationalen Konferenz für Hochenergie­physik ICHEP, die wegen der Pandemie virtuell stattfand, berichteten die Kolla­borationen der CERN-Experimente ATLAS und CMS über den Zerfall eines Higgs-Boson in zwei Myonen. Dieser Prozess ist ein seltenes Phänomen, da nach ersten Messungen nur etwa ein von 5000 Higgs-Bosonen in Myonen zerfällt. Diese neuen Ergebnisse sind für die Physik von zentraler Bedeutung, weil sie zum ersten Mal zeigen, dass das ein Higgs-Boson mit Elementar­teilchen der zweiten Generation wechselwirkt.

Abb.: ATLAS-Experiment: Kandidat für den Zerfall eines Higgs-Bosons in zwei...
Abb.: ATLAS-Experiment: Kandidat für den Zerfall eines Higgs-Bosons in zwei Myonen. (Bild: CERN)

Die Teilchen­physiker am CERN untersuchen das Higgs-Boson seit seiner Entdeckung im Jahr 2012, um dessen Eigen­schaften zu erforschen. Das Higgs-Boson, das bei Protonen­kollisionen am Large Hadron Collider entsteht, zerfällt fast augenblicklich in andere Teilchen. Eine der Haupt­methoden zur Untersuchung der Eigenschaften des Higgs-Bosons besteht in der Analyse des Zerfalls selbst und der Zerfallsrate. Der CMS-Detektor konnte diesen Zerfall mit drei Sigma nachweisen. Das bedeutet, dass die Wahrschein­lichkeit, das Higgs-Boson durch statistische Fluktuation in ein Myonen­paar zerfallen zu sehen, weniger als eins zu 700 beträgt. Das Zwei-Sigma-Ergebnis von ATLAS bedeutet, dass die Wahrschein­lichkeit bei eins zu vierzig liegt. Die Kombi­nation beider Ergebnisse erhöht die Signi­fikanz deutlich über drei Sigma und liefert starke Hinweise auf den Zerfall des Higgs-Bosons in zwei Myonen.

„CMS ist stolz darauf, diese Empfind­lichkeit für den Zerfall von Higgs-Bosonen zu Myonen erreicht zu haben und den ersten experi­mentellen Nachweis für diesen Prozess zu erbringen. Das Higgs-Boson scheint in Überein­stimmung mit der Vorhersage des Standard­modells auch mit Teilchen der zweiten Generation zu inter­agieren. Ein Ergebnis, das mit den Daten, die wir voraus­sichtlich im nächsten Lauf sammeln werden, weiter verfeinert werden wird“, sagt Roberto Carlin, Sprecher des CMS-Experiments.

Das Higgs-Boson verleiht über den Brout-Englert-Higgs-Mechanismus den Elementar­teilchen, mit denen es in Wechselwirkung tritt, Masse. Durch Messung der Zerfallsrate des Higgs-Bosons in verschiedene Teilchen können die Physiker auf die Stärke ihrer Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld schließen: Je höher die Zerfalls­rate in ein bestimmtes Teilchen, desto stärker die Wechselwirkung mit dem entsprechenden Feld. Bisher haben die Experimente ATLAS und CMS den Zerfall des Higgs-Bosons in verschiedene Arten von Bosonen wie W und Z sowie in schwerere Fermionen wie Tau-Leptonen beobachtet. Die Wechsel­wirkung mit den schwersten Quarks, den Top- und Bottom-Quarks, wurde 2018 gemessen. Myonen sind im Vergleich dazu viel leichter und ihre Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld entsprechend schwächer. Wechsel­wirkungen zwischen dem Higgs-Boson und Myonen waren daher bisher am LHC noch nicht beobachtet worden. „Die Messungen der Eigen­schaften des Higgs-Bosons haben eine neue Stufe der Präzision erreicht und seltene Zerfalls­moden können angegangen werden. Diese Erfolge beruhen auf dem großen LHC-Datensatz, der heraus­ragenden Effizienz und Leistung des ATLAS-Detektors und dem Einsatz neuartiger Analyse­techniken“, sagte Karl Jakobs, Sprecher von ATLAS. 

Am LHC werden für jedes vorher­gesagte Higgs-Boson, das in zwei Myonen zerfällt, Tausende von Myonen­paaren durch andere Prozesse erzeugt. Die charak­teristische Signatur des Zerfalls des Higgs-Bosons zu Myonen ist ein kleiner Überschuss an Ereignissen, die sich in der Nähe einer Myon-Paar-Masse von 125 Gigeelek­tronenvolt, der Masse des Higgs-Bosons, häufen. Das Higgs-Boson in Myon-Paar-Wechsel­wirkungen zu isolieren, ist keine leichte Aufgabe. Zu diesem Zweck messen beide Experimente die Energie, den Impuls und die Winkel der Myon­kandidaten aus dem Zerfall des Higgs-Bosons. Darüber hinaus wurde die Empfindlichkeit der Analysen durch ausge­klügelte Modellierungs­strategien und andere Techniken wie maschinelles Lernen verbessert. CMS kombinierte vier separate Analysen, um die physikalischen Ereignisse zu kategorisieren. ATLAS teilte ihre Ereignisse in zwanzig Kategorien ein, die auf bestimmte Produktions­modi von Higgs-Bosonen abzielten.

Für die Ergebnisse, die bisher mit den Vorhersagen des Standard­modells über­einstimmen, wurde der vollständige Datensatz aus dem zweiten Lauf des LHC verwendet. Da beim nächsten Lauf des Teilchen­beschleunigers noch mehr Daten aufgezeichnet werden müssen, erwarten die ATLAS- und CMS-Kolla­borationen, dass sie die Empfindlichkeit von fünf Sigma erreichen werden. Diese ist erfor­derlich, um die Entdeckung des Zerfalls des Higgs-Bosons in zwei Myonen abzusichern. 

CERN / JOL

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