18.03.2013

Higgs immer sicherer

Hinweise auf ein Higgs-Boson verdichten sich. Deutsche Teilchenphysiker erläutern Bundestagsabgeordneten die Bedeutung dieser Ergebnisse.

Das sieht ihm ähnlich – so lautete die offizielle Sprechweise der Teilchenphysiker, seit sie im vergangenen Jahr am Large Hadron Collider (LHC) ein neues Elementarteilchen entdeckt hatten, ein „Higgs-ähnliches Boson“. Doch nachdem die Kollaborationen der Detektoren ATLAS und CMS inzwischen 2,5-mal so viele Daten ausgewertet haben, scheinen sie sich immer sicherer zu sein, ein Higgs-Teilchen entdeckt zu haben. Das gab das CERN am 14. März in einer Pressemitteilung bekannt. „Ähnlich“ ist also gestrichen, allerdings ist nicht von dem Higgs-Boson die Rede, sondern von einem. Wie es der Zufall wollte, hatten die deutschen Teilchenphysiker bereits Wochen zuvor just an diesem Tag zu einem parlamentarischen Abend in das Magnus-Haus in Berlin eingeladen. Immerhin rund 25 Abgeordnete oder ihre Assistenten waren der Einladung gefolgt – eine erfahrungsgemäß gute Resonanz –, um „ein Stück weit in Ihre spannende Welt hineinzublicken, die ein bisschen anders ist als das Plenum des Deutschen Bundestags“, sagte Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, in seinem Grußwort. 

Rolf-Dieter Heuer, Generaldirektor des CERN, erläuterte im Magnus-Haus die am...
Rolf-Dieter Heuer, Generaldirektor des CERN, erläuterte im Magnus-Haus die am LHC gewonnenen Ergebnisse und betonte die gesellschaftliche Bedeutung der Grundlagenforschung (Foto: DESY)

Was hat es nun mit dem Unterschied zwischen dem und einem Higgs-Boson auf sich? Für die Parlamentarier mag diese Frage ein subtiles Detail betreffen, für die Physik ist sie jedoch essenziell: Im Rahmen des Standardmodells der Teilchenphysik gibt es genau ein Higgs-Boson, dessen Eigenschaften – mit Ausnahme der Masse – das Modell alle voraussagt. Dazu gehört insbesondere, dass das Teilchen Spin 0 und eine gerade Parität (+) hat. Darauf deuten die gemessenen Winkelverteilungen der beobachteten Teilchenzerfälle auch hin.#) Allerdings sagen supersymmetrische Erweiterungen des Standardmodells gleich mehrere Higgs-Bosonen voraus. Haben ATLAS und CMS nun das Higgs-Boson des Standardmodells beobachtet oder das leichteste einer supersymmetrischen Theorie? Da auch letzteres die Quantenzahlen 0+ hat, lässt sich diese Frage nur durch eine präzise Analyse aller möglichen Zerfälle beantworten. Bislang sind die gemessenen Zerfallsraten der verschiedenen Kanäle im Rahmen der Unsicherheiten kompatibel mit den Vorhersagen des Standardmodells.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Abweichungen zwischen Standardmodell und Supersymmetrie beliebig klein sein können, sodass nicht klar ist, ob der LHC in den nächsten Jahren überhaupt eine Antwort liefern kann. Angesichts der Tatsache, dass die vom Standardmodell beschriebene gewöhnliche Materie nur fünf Prozent des Energie- und Materieinhalts des Universums ausmacht, und die Supersymmetrie einen natürlichen Kandidaten für die zwanzig Prozent der Dunklen Materie liefert, wäre aber jeder Hinweis darauf spektakulär. CERN-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer brachte es am Ende seines Vortrags so auf den Punkt: „Wir haben fünfzig Jahre gebraucht, um fünf Prozent zu erklären. Es wird Zeit, dass wir weiter kommen.“

Neben der eigentlichen Entdeckung stand auch die gesellschaftliche Bedeutung der Grundlagenforschung auf dem Programm des Parlamentarischen Abends in Berlin. Dazu zählen die vielen gut ausgebildeten Nachwuchswissenschaftler, die im Anschluss an ihre Promotion meist in der Wirtschaft arbeiten, wie DPG-Präsidentin Johanna Stachel in ihrer Begrüßung betonte. Hinzu kommen die Technologieentwicklungen und Innovationen (Stichwort: WWW und Grid Computing) sowie die Völkerverständigung, ergänzte Rolf-Dieter Heuer. Daher sei das Geld am LHC gut angelegt. Immerhin überweist Deutschland jährlich rund 180 Millionen Euro an das CERN und trägt damit etwa 20 Prozent der Kosten. Zusätzlich fördert das BMBF im Rahmen zweier Forschungsschwerpunkte mit weiteren 13 Millionen jährlich deutsche Teilchenphysiker an Universitäten und außeruniversitären Instituten, die an den Experimenten ATLAS und CMS wichtige Rollen einnehmen.

Stefan Jorda

#) Aufgrund des beobachteten Zerfalls des neuen Teilchens in zwei Photonen ist Spin 1 nicht möglich, Spin 2 lässt sich noch nicht ganz ausschließen.

 

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