08.10.2008

Gebrochene Symmetrie nach dem Urknall war die Saat unserer Welt

Der Nobelpreis für Physik ehrt in diesem Jahr eine fundamentale Erklärung für unsere Existenz: Wären die Naturgesetze perfekt symmetrisch, gäbe es keine Menschen, keine Erde, keine Sterne - überhaupt keine Materie im Universum.

Gebrochene Symmetrie nach dem Urknall war die Saat unserer Welt
 
Stockholm/Hamburg (dpa) - Der Nobelpreis für Physik ehrt in diesem Jahr eine fundamentale Erklärung für unsere Existenz: Wären die Naturgesetze perfekt symmetrisch, gäbe es keine Menschen, keine Erde, keine Sterne - überhaupt keine Materie im Universum. Materie und Antimaterie hätten sich nach dem Urknall gegenseitig wieder vollständig vernichtet. Für die Erforschung von Symmetriebrüchen in der Natur, die unter anderem das Überleben eines winzigen Materie- Überschusses ermöglicht haben, teilen sich der US-Physiker Yoichiro Nambu und seine japanischen Kollegen Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa nun die höchste Auszeichnung ihres Fachs.

Ein solcher Symmetriebruch hat ermöglicht, dass nach dem Urknall pro etwa zehn Milliarden Antimaterieteilchen ein einziges Materieteilchen übrig blieb. «Dieser Materieüberschuss war die Saat unseres ganzen Universums, das sich mit Galaxien, Sternen und Planeten - und schließlich Leben - füllte», erläuterte das Nobelkomitee am Dienstag in Stockholm die fundamentale Bedeutung der ausgezeichneten Arbeiten. Der Münchner Physiker Siegfried Bethke formuliert die grundlegende Frage so: «Warum sind wir überhaupt da? Das ist völlig mysteriös. Eigentlich dürfte es uns gar nicht geben.»

Der materiestiftende Symmetriebruch nach dem Urknall ist noch gar nicht vollständig verstanden. Doch solche Symmetriebrüche spielen auch andernorts in der Natur eine Rolle. Physiker hatten das Phänomen in ihren Laboren bereits in den 60er Jahren beobachtet, konnten es aber nicht erklären. Kobayashi und Maskawa erkannten 1972 an der Universität Kyoto, dass sich die Symmetriebrüche in die geltende Theorie integrieren ließen, falls es unter den Elementarteilchen eine dritte, noch nicht entdeckte Generation von Quarks geben sollte. Quarks sind die kleinsten Bausteine der Atomkerne. Tatsächlich wurde 1977 dann das «Bottom»- und 1994 schließlich das «Top»-Quark gefunden, das dritte Quark-Paar in der Natur.

Mit der von den beiden Japanern beschriebenen dritten Quark- Generation ließen sich die Symmetriebrüche erfolgreich in das Standardmodell der Welt einbetten, erläuterte Andrzej Jerzy Buras vom Institut für Theoretische Physik der Technischen Universität München. «Das funktioniert fantastisch.»

Das Standardmodell unserer Welt vereint die Elementarteilchen und drei der vier fundamentalen Naturkräfte (Kernkraft, elektromagnetische Kraft und schwache Kraft; nur die Schwerkraft bleibt derzeit außen vor). Es funktioniert auch deshalb so gut, weil Yoichiro Nambu die mathematische Beschreibung spontaner Symmetriebrüche in der Welt der Elementarteilchen formuliert hat, die heute das Standardmodell durchzieht.

«Spontane Symmetriebrüche verbergen die Ordnung der Natur unter einer unordentlichen Oberfläche», erläuterte das Nobelkomitee und illustriert das mit dem Beispiel eines Bleistifts, der auf der Spitze ausbalanciert ist: Sobald der Stift zu einer Seite kippt, ist die Symmetrie gebrochen und die Ordnung zerstört. «Nambu hatte die grundlegenden großartigen Ideen. Die anderen beiden haben sich später eines ungelösten Problems dabei angenommen», sagte Lars Brink vom Nobelkomitee.

Kobayashis und Maskawas Arbeiten können allerdings noch nicht ganz erklären, warum nach dem Urknall etwas mehr Materie als Antimaterie übrig geblieben ist. Antworten auf diese Frage erhoffen sich Forscher wie Bethke unter anderem vom neuen Teilchenbeschleuniger LHC am europäischen Teilchenphysikzentrum CERN bei Genf. Diese größte Forschungsmaschine, die Menschen je gebaut haben, soll die Physiker den Bedingungen des Urknalls näher bringen als je zuvor und könnte damit das Rätsel unserer Existenz lösen.

Till Mundzeck


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