02.05.2019 • AstrophysikKernphysik

Geboren in der Apokalypse

Neutronenstern-Verschmelzungen als Quelle von r-Prozess-Elementen.

Woher stammen die Elemente, aus denen wir gemacht sind? Auf diese alte Frage hat es in jüngerer Vergangenheit einige interessante neue Antworten gegeben. Neben den primordialen Stoffen Wasserstoff und Helium sowie geringen Mengen an Lithium, die nach dem Urknall das All erfüllten, gibt es im Universum noch die schwereren Elemente, die aus unterschiedlichen Quellen stammen. Der größte Teil hiervon sind leichte und mittelschwere Elemente bis zum Eisen, die aus dem Kernbrennen längst verglühter Sterne stammen und bei Supernovae in den Galaxien verteilt worden sind. Es herrscht aber eine Kontroverse darüber, wie die noch schwereren Elemente entstanden sind. Ein Teil kommt aus dem s-Prozess („slow“), bei dem in Riesensternen durch langsamen Neutroneneinfang Stoffe jenseits von Eisen erbrütet werden. Dieser Prozess bricht aber bei Bismut ab, da der Neutroneneinfang hierbei so langsam stattfindet, dass schwerere Atomkerne bereits wieder zerfallen sind, bevor sie weitere Neutronen anlagern können.

Abb.: Bei einer Neutronenstern-Verschmelzung entstehen schwere Elemente durch...
Abb.: Bei einer Neutronenstern-Verschmelzung entstehen schwere Elemente durch schnell aufeinander folgenden Neutroneneinfang. Ihre Häufigkeit im jungen Sonnensystem lässt sich durch primordiale Materie in Meteoriten nachweisen. (Bild: I. Bartos & S. Márka)

Noch schwerere Elemente und insbesondere Actinoide, zu denen auch Uran und Plutonium gehören, können nur durch den r-Prozess („rapid“) erzeugt werden, bei dem extrem hohe Neutronenflüsse für einen so schnellen Brutprozess sorgen, dass das Kernwachstum die Zerfallsrate durch die zunehmend kürzer werdende Halbwertszeit überholt. Als Kandidaten für einen solchen r-Prozess gelten neben Kernkollaps-Supernovae die mittlerweile favorisierten Verschmelzungen von Neutronensternen. Wie Imre Bartos von der University of Florida in Gainesville und Szabolcs Márka von der Columbia University in New York mit einer neuen Simulationsstudie belegen, spricht viel dafür, dass vor allem die Kollisionen von Neutronensternen für die überschweren Elemente verantwortlich zeichnen. Das schließen sie aus den Verhältnissen bestimmter Isotope, die sich in Meteoriten finden lassen.

In diesen Gesteinsbrocken ist die Materie aus der Frühzeit unseres Sonnensystems vor rund 4,5 Milliarden Jahren noch weitgehend ursprünglich erhalten – mit einem wichtigen Unterschied: Außer den langlebigsten Radionukliden sind alle instabilen Isotope bereits zerfallen. Aus dem Verhältnis der stabilen Tochternuklide in bestimmten Meteoriten-Mineralien lässt sich aber auf die Zusammensetzung der „Ursuppe“ unseres Sonnensystems schließen. Falls die Actinoide in der Urmaterie aus Supernovae stammen, sollten sie andere Isotopenverhältnisse aufweisen, als wenn sie von Neutronenstern-Verschmelzungen herrühren.

Abb.: Neutronensterne auf Kollisionskurs. (Bild: NASA)
Abb.: Neutronensterne auf Kollisionskurs. (Bild: NASA)

„Die relative Seltenheit von Neutronenstern-Kollisionen führt zu einer anderen Häufigkeit kurzlebiger Actinoiden mit Halbwertszeiten von weniger als 100 Millionen Jahren als bei Supernovae“, sagt Bartos. Deshalb kann ein einziges solches Ereignis in der Nähe zu einem ungewöhnlich starken Effekt führen. Die beiden Forscher konnten auf etliche Analysen von Meteoriten zurückgreifen und ermittelten dann mit Hilfe einer ganzen Reihe von Simulationen die möglichen Ursprungsbedingungen unseres Sonnensystems. Vor allem das Verhältnis von Curium-247 mit einer Halbwertszeit von 15,6 Millionen Jahren zu Plutonium-244 mit einer Lebensdauer von 80 Millionen Jahren wies eindeutig auf einen einmaligen Entstehungsprozess hin. Andere Isotope dieser Elemente sind deutlich kurzlebiger. Offensichtlich stammen rund siebzig Prozent dieses Curiums aus einer einzigen Neutronenstern-Verschmelzung, die etwa 80 Millionen Jahre vor der Entstehung unseres Sonnensystems in etwa tausend Lichtjahren Entfernung stattgefunden hatte. Der Gesamtbeitrag an schweren Elementen im Sonnensystem, den dieses Ereignis beigesteuert hat, liegt bei 0,3 Prozent. Auch rund vierzig Prozent von Plutonium-244 stammte aus einer einzigen Neutronenstern-Kollision, wobei diese aber nicht diejenige gewesen sein muss, welche das Curium geliefert hat.

Auch andere Isotopenverhältnisse wie die von Iod-129 mit 15,7 Millionen Jahren Halbwertszeit zu stabilem Iod-127 sprechen gegen eine mehr oder weniger kontinuierliche Produktion in Supernovae. Bei vergleichsweise langlebigen Radionukliden wie Uran-235 mit seinen 704 Millionen Jahren Halbwertszeit gleichen sich die Szenarien stark an – denn bei derart langlebigen Isotopen verschwimmt der Einfluss einzelner Ereignisse zunehmend.

Die Analyse von Bartos und Márka deckt sich mit jüngsten astrophysikalischen Beobachtungen. Die optische Analyse der von den Gravitationswellenobservatorien LIGO und Virgo gemachten Neutronenstern-Verschmelzung brachte bereits den Hinweis, dass dabei ungefähr fünf Prozent der Masse unserer Sonne an r-Prozess-Elementen ausgestoßen wurde. Multipliziert mit der Häufigkeit solcher Ereignisse von einigen bis hin zu vielleicht ein paar Dutzend Kollisionen pro Jahrmillion in einer Galaxie reicht diese Produktionsrate, um die Häufigkeit schwerer r-Prozess-Elemente in unserer Galaxie zu erklären. Supernovae wären damit weitestgehend aus dem Rennen.

Zwar ist durchaus denkbar, dass einige besonders starke Supernovae ebenfalls einen gewissen Beitrag leisten. Diese dürften aber vor allem im inneren Bereich der Milchstraße stattfinden, wo hinreichend viele schwere Vorgängersterne entstehen – und nicht in dem Bereich, in dem unser Sonnensystem entstanden ist. Die Forscher wollen nun ihre Methode an weiteren, vergleichsweise kurzlebigen Isotopen erproben, um das verantwortliche Ereignis noch besser einzugrenzen.

Dirk Eidemüller

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