07.11.2022

Erstes Neutrino-Bild einer aktiven Galaxie

Messier 77 entpuppt sich als eine Quelle hochenergetischer Neutrino-Strahlung.

Aktive Galaxien, in deren Zentrum sich gigantische schwarze Löcher befinden, geben Physikern noch immer Rätsel auf. „Wir wissen bis heute nicht genau, welche Prozesse sich dort abspielen“, erklärt Elisa Resconi von der Tech­nischen Universität München. Nun ist ihr Team der Auflösung dieses Rätsels jetzt einen großen Schritt näher gekommen: In der Spiral­galaxie NGC 1068 haben die Astrophysikerinnen und Astrophysiker eine Quelle hochener­getischer Neutrinos aufgespürt.

Abb.: Das IceCube Neutrino-Observatorium in der Antarktis. (Bild: M. Wolf,...
Abb.: Das IceCube Neutrino-Observatorium in der Antarktis. (Bild: M. Wolf, IceCube / NSF)

Mit Teleskopen, die Licht, Gamma- oder Röntgenstrahlen aus dem All auffangen, ist es sehr schwierig, die aktiven Zentren von Galaxien zu erforschen, weil Wolken aus kosmischem Staub und heißem Plasma die Strahlung absorbieren. Dem Inferno am Rande schwarzer Löcher entkommen nur Neutrinos, die so gut wie keine Masse und auch keine elektrische Ladung haben. Sie durchdringen den Raum, ohne durch elektro­magnetische Felder abgelenkt oder absorbiert zu werden. Deshalb sind sie auch so schwer zu detektieren. Die größte Hürde bei der Neutrino-Astronomie war bisher die Trennung des sehr schwachen Signals von dem starken Hintergrund­rauschen durch Teilchen­einschläge aus der Erdatmosphäre. Erst die langjährigen Messungen des IceCube Neutrino Observatory und neue statistische Methoden ermöglichten Resconi und ihrem Team genügend Neutrino-Ereig­nisse für ihre Entdeckung.

Das IceCube-Teleskop, das sich im Eis der Antarktis befindet, detektiert seit 2011 Leucht­spuren einfallender Neutrinos. „Aus ihrer Energie und ihrem Einfalls­winkel können wir rekonstruieren, woher sie kommen“, erklärt Theo Glauch. „Die statis­tische Auswertung zeigt eine hochsignifikante Häufung von Neutrino-Einschlägen aus der Richtung, in der sich die aktive Galaxie NGC 1068 befindet. Damit können wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die hochener­getische Neutrino-Strahlung aus dieser Galaxie kommt.“ Die Spiralgalaxie, 47 Millionen Lichtjahre entfernt, wurde bereits im 18. Jahrhundert entdeckt. NGC 1068 – auch bekannt unter dem Namen Messier 77 –  ist in Form und Größe unserer Galaxie ähnlich, hat aber ein leuchtend helles Zentrum, das heller strahlt als die gesamte Milchstraße, obwohl es nur in etwa so groß ist wie unser Sonnensystem. In diesem Zentrum befindet sich ein aktiver Kern: ein gigan­tisches schwarzes Loch von etwa einhundert Millionen Sonnenmassen, das große Mengen von Materie aufsaugt.  

Doch wo und wie entstehen dort Neutrinos? „Wir haben ein klares Szenario“, antwortet Resconi. „Wir denken, dass die hochener­getischen Neutrinos das Ergebnis einer extremen Beschleunigung sind, die Materie in der Umgebung des schwarzen Lochs erfährt und dadurch auf sehr hohe Energien beschleunigt wird. Aus Experimenten in Teilchenbeschleunigern wissen wir, dass hochenerge­tische Protonen Neutrinos erzeugen, wenn sie mit anderen Teilchen zusammenstoßen. Mit anderen Worten: Wir haben einen kosmischen Beschleuniger gefunden.“

NGC 1068 ist die statistisch signi­fikanteste Quelle hochenerge­tischer Neutrinos, die bisher entdeckt wurde. Um auch schwächere und weiter entfernte Neutrino-Quellen lokalisieren und erforschen zu können, seien mehr Daten erforderlich, betont Resconi. Die Forscherin hat unlängst eine inter­nationale Initiative für den Bau eines mehrere Kubikkilometer großen Neutrino-Teleskops im nordöstlichen Pazifik gestartet, das Pacific Ocean Neutrino Experiment, P-ONE. Es soll zusammen mit dem geplanten IceCube-Obser­vatorium der zweiten Generation – IceCube-Gen2 – die Daten für eine künftige Neutrino-Astronomie liefern.

TUM / JOL

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