04.03.2020

Elektronen auf krummen Touren

Berry-Krümmung in atomaren Schichten mit chiralem Licht vermessen.

Wir leben in einer gekrümmten Geometrie: Die Erde ist nicht flach. Dies wird uns klar, wenn wir mit einem Flug über den Atlantik einen – laut der flachen Landkarte – scheinbaren Umweg über Island und Grönland beschreiben, um von Europa in die USA zu gelangen. Ähnliches geschieht mit Elektronen in einem Material. Ihre Bewegung wird von der Berry-Krümmung beeinflusst – einer Größe, die 1984 erstmalig in einem bedeutenden Artikel von ihrem Namensgeber, Sir Michael Berry, beschrieben wurde.
 

Abb.: Chirale links- und rechts­drehende Laser­pulse treffen auf ein...
Abb.: Chirale links- und rechts­drehende Laser­pulse treffen auf ein 2D-Material (hexagonales Gitter) und geben Photo­elektronen ab. (Bild: J. Harms, MPSD)

Die Berry-Krümmung hat wichtige Auswirkungen – zum Beispiel beim Quanten-Hall-Effekt, der heutzutage der Standard für die präzisesten Messungen der grund­legenden natürlichen Konstanten ist – etwa für Elektronen­ladung und Planck-Konstante. Auch die moderne Fest­körper­physik wurde durch das Konzept der Berry-Krümmung revolutioniert. Es ist eng verwandt mit dem der Topologie, der Beschreibung jener Eigenschaften, die konstant bleiben, wenn ein Objekt verformt, aber nicht zerrissen wird.

Anders als im Falle der Quanten­simulatoren, wo die Abbildung der Berry-Krümmung direkt möglich ist, existiert jedoch noch keine solche Imaging-Methode für Festkörper. Diese Lücke wird von den neuen Forschungs­ergebnissen gefüllt. Das Team schlägt darin die Messung der Berry-Krümmung in Festkörpern mithilfe der Photo­emissions­spektroskopie vor.

Die Photoemissions­spektroskopie basiert auf dem photo­elektrischen Effekt. Heutzutage nutzen Wissenschaftler hoch­energetisches Licht, das Elektronen aus einem Metall katapultieren kann, um die Bandstruktur zu messen. Sie bestimmt, ob ein Material isolierend, halbleitend oder metallisch ist. In der nun vorliegenden Arbeit fügt Michael Schüler – ein ehemaliger Postdoc an der Universität Fribourg in der Schweiz, nun am SLAC und Stanford University in den USA – zusammen mit Umberto De Giovannini vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) in Hamburg und weiteren Kollegen, der konventionellen Photo­emissions­spektroskopie einen neuen Dreh hinzu. 

In ihren numerischen Simulationen zeigte das Team, dass das photoelektrische Signal für rechts­drehendes Licht anders aussieht, als das für die links­drehende Variante. Zudem bewiesen die Forscher, dass dieser Unterschied direkt mit der Berry-Krümmung der elektronischen Wellen­funktionen innerhalb des Materials zusammenhängt.

„Wir haben gezeigt, dass man mehr Informationen über die Elektronen als nur ihre Energie und ihren Impuls entschlüsseln kann, da diese ja ohnehin meist schon beschrieben sind", erklärt Schüler. „Wir haben die zu erwartenden Signale für einige typische und wichtige atomar dünne Materialien berechnet, die nun im Fokus der Quanten­material­forschung stehen und als mögliche Kandidaten für zukünftige Quantentechnologien gesehen werden", fügt De Giovannini hinzu. „Wir waren überrascht, wie gut diese Methode funktioniert und wir sind uns sicher, dass experimentelle Fortschritte in diesen Imaging-Methoden bald unser Verständnis der topologischen Eigenschaften vertiefen werden.“ Dieser Vorschlag könnte die hochpräzise Imaging-Diagnostik von neuartigen Materialien ermöglichen und zukünftige Quanten­technologien vorantreiben, die auf der Berry-Krümmung der Materie basieren.

Das Team erwartet, dass diese Methode auf das ultraschnelle dynamische Regime ausgeweitet werden kann. „Wir stehen am Beginn einer Nicht­gleich­gewichts­revolution", sagt Philipp Werner, Professor in Fribourg. „Es gibt mehrere Theorieentwürfe und einige sehr vielversprechende erste experimentelle Nachweise von topologischen Eigenschaften in Materialien, die durch die Anwendung von ultrakurzen Laserpulsen auf der Femto­sekunden­skala verändert werden.“ 

MPSD-Theoriedirektor Ángel Rubio erläutert: „Unsere Methode zur Abbildung topologischer Eigenschaften kann direkt auf ultraschnelle Prozesse erweitert werden und sollte uns wichtige Einblicke geben, wie sich mit Licht die topologischen Eigenschaften in Quanten­materialien steuern lassen.“ 

MPSD / DE
 

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