16.10.2020

Ein Stern wird zu Spaghetti

Supermassereiches schwarzes Loch verschlingt große Teile eines vorbeifliegenden Sterns.

Astronomen haben mit Teleskopen der Europäischen Südstern­warte (ESO) und anderer Organisationen einen seltenen Lichtblitz von einem Stern entdeckt, der von einem super­massereichen schwarzen Loch zerrissen wird. Dieses Phänomen, das als Tidal Disruption Event bekannt ist, ist der bisher am nächsten liegende derartige Ausbruch, der in einer Entfernung von etwas mehr als 215 Millionen Lichtjahren von der Erde registriert und in noch nie dagewesener Ausführlich­keit untersucht wurde.

 

Abb.: Künstlerische Darstellung eines Sterns, der durch die Gezeiten­wirkung...
Abb.: Künstlerische Darstellung eines Sterns, der durch die Gezeiten­wirkung eines super­masse­reichen schwarzen Lochs aufgerieben wird. (Bild: ESO / M. Kornmesser)

„Die Vorstellung, dass ein schwarzes Loch einen nahen Stern ansaugt, klingt wie Science Fiction. Aber genau das passiert bei einem Tidal Disruption Event“, sagt Matt Nicholl, Dozent und Forschungs­stipendiat der Royal Astronomical Society an der Universität Birmingham, Groß­britannien und Hauptautor der neuen Studie. Aber ein solches Ereignis, bei dem ein Stern eine Spaghettisierung erfährt, wenn er von einem schwarzen Loch verschluckt wird, sind selten und nicht immer einfach zu untersuchen. Das Forscherteam richtete das Very Large Telescope (VLT) der ESO und das New Technology Telescope (NTT) der ESO auf einen neuen Lichtblitz, der letztes Jahr in der Nähe eines super­massereichen schwarzen Lochs auftrat, um im Detail zu untersuchen, was passiert, wenn ein Stern auf diese Weise verschlungen wird.

Astronomen wissen, was theoretisch passieren sollte. „Wenn ein unglückseliger Stern zu nahe an ein super­massereiches schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie wandert, zerreißt die extreme Anziehungskraft des schwarzen Lochs den Stern in dünne Fäden aus Materie“, erklärt Studien­autor Thomas Wevers, ein ESO-Stipendiat in Santiago, Chile, der sich am Institut für Astronomie der Universität Cambridge, Großbritannien, befand, als er die Arbeit durchführte. Wenn einige der dünnen Stränge des Sternmaterials während dieses Spaghettisierungs­prozesses in das schwarze Loch fallen, wird ein starker Energieschub freigesetzt, der nachgewiesen werden kann.

Obwohl solche Ereignisse mächtig und hell sind, hatten Astronomen bisher Schwierigkeiten bei der Untersuchung dieses Lichtblitzes, der oft durch einen Vorhang aus Staub und Trümmern verdunkelt wird. Erst jetzt ist es ihnen gelungen, den Ursprung dieses Vorgangs aufzuklären. „Wir haben herausgefunden, dass ein schwarzes Loch, wenn es einen Stern verschlingt, in einem starken Ausbruch Material nach außen schleudern kann, das uns die Sicht versperrt“, erklärt Samantha Oates, ebenfalls an der Universität Birmingham. Dies geschieht, weil die freigesetzte Energie die Trümmer des Sterns nach außen treibt.

Die Entdeckung war möglich, weil das vom Team untersuchte Ereignis, AT2019qiz, gerade erst kurz nach dem Auseinander­reißen des Sterns gefunden wurde. „Weil wir ihn früh erwischt haben, konnten wir tatsächlich beobachten, wie sich der Vorhang aus Staub und Trümmern aufbaute, als das schwarze Loch einen mächtigen Ausstoß von Material mit Geschwindigkeiten von bis zu 10.000 Kilometern pro Sekunde auslöste“, sagt Kate Alexander, Einstein-Stipendiatin der NASA an der Northwestern University in den USA. „Dieser einzig­artige ‚Blick hinter den Vorhang‘ bot die erste Gelegenheit, den Ursprung des verdunkelnden Materials zu lokalisieren und in Echtzeit zu verfolgen, wie es das schwarze Loch einhüllt.“

Das Team beobachtete AT2019qiz, das sich in einer Spiralgalaxie im Sternbild Eridanus befindet, über einen Zeitraum von sechs Monaten, während dessen der Ausbruch an Leuchtkraft zunahm und dann verblasste. „Mehrere Himmels­durch­musterungen entdeckten die Emission des neuen Tidal Disruption Events sehr schnell, nachdem der Stern auseinander gerissen wurde“, sagt Wevers. „Wir richteten sofort eine Reihe von Boden- und Weltraum­teleskopen in diese Richtung, um die Quelle des Lichts zu ermitteln“, so Wevers.

In den folgenden Monaten beobachteten Wissenschaftler das Ereignis mehrfach, unter anderem mit X-shooter und EFOSC2, leistungs­starken Instrumenten am VLT der ESO und am NTT der ESO, die sich in Chile befinden. Die prompten und umfangreichen Beobachtungen im ultravioletten, optischen, Röntgen- und Radio­licht zeigten zum ersten Mal eine direkte Verbindung zwischen dem aus dem Stern aus­strömenden Material und dem hellen Aufflackern, das ausgestrahlt wird, während es von dem schwarzen Loch verschlungen wird. „Die Beobachtungen zeigten, dass der Stern ungefähr die gleiche Masse wie unsere eigene Sonne hatte und dass er etwa die Hälfte davon an das schwarze Loch verlor, das über eine Million Mal massereicher ist“, sagt Nicholl, der auch als Gastforscher an der Universität Edinburgh tätig ist.

Die Untersuchungen tragen zu einem besseren Verständnis super­massereicher schwarzer Löcher und des Verhaltens von Materie in den sie umgebenden extremen Gravitations­umgebungen bei. Nach Ansicht des Teams könnte AT2019qiz sogar als „Rosetta-Stein“ für die Interpretation künftiger Beobachtungen von Tidal Disruption Events dienen. Das Extremely Large Telescope (ELT) der ESO, das noch in diesem Jahrzehnt in Betrieb genommen werden soll, wird es den Forschern ermöglichen, zunehmend schwächere und sich rascher entwickelnde Tidal Disruption Events zu entdecken, um weitere Rätsel der Physik schwarzer Löcher zu entschlüsseln.

MPIA / DE

 

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