14.07.2021

Doppelter Angriff auf Tumore

Kombination aus Schwerionentherapie und mRNA-basierten Wirkstoffen soll Synergien bringen.

Es ist eine Allianz für die Forschung im Kampf gegen den Krebs, die den Weg für spannende neue Entwicklungen eröffnet: Auf der einen Seite das GSI Helmholtz­zentrum für Schwer­ionenforschung in Darmstadt mit seinen weltweit einmaligen Beschleunigeranlagen und der hier entwickelten Krebstherapie mit Ionenstrahlen. Auf der anderen Seite das biopharma­zeutische und translationale Forschungs­institut TRON aus Mainz mit seiner hochspezialisierten Onkologie­forschung.

 

Abb.: Der GSI-Ring­beschleuniger SIS18 wurde für eine vielversprechende...
Abb.: Der GSI-Ring­beschleuniger SIS18 wurde für eine vielversprechende Kombination an Therapie­ansätzen genutzt: die Verbindung von Kohlenstoff­ionen­therapie und Immun­therapie mit einem mRNA-basierten Krebs­impfstoff. (Bild: J. Hosan, GSI / FAIR)

TRON ist über seinen Gründer Ugur Sahin und weitere Wissenschaftler eng mit dem Biotechnologie-Unternehmen BioNTech verbunden, das mit seiner Corona-Impfstoff-Entwicklung Wissenschaft auf Weltniveau betreibt – basierend auf modernsten Anwendungen von mRNA-Impfstoffen aus der Tumorforschung.

In der laufenden Experimentierzeit auf dem GSI- und FAIR-Campus nutzt TRON in Zusammenarbeit mit der GSI-Abteilung Biophysik die Beschleunigeranlagen für eine neue, vielversprechende Kombination an Therapie­ansätzen: die Verbindung der Kohlenstoff­ionentherapie einerseits und der Immuntherapie mit einem mRNA-basierten Krebs­impfstoff andererseits. Die Kombination dieses potenten systemischen Medikaments mit lokalem Schwerionen­beschuss der Primär­masse könnte ein Schlüssel sein, um Krebs­erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium zu besiegen.

Noch ist die Forschung von TRON bei GSI und FAIR ein Blick in die Zukunft. „Die Ergebnisse werden eine erste Orientierung geben, ob die Schwerionen-Strahlentherapie von einer kombinierten Immuntherapie mit Krebsimpfstoffen profitieren kann, und sind aufschlussreich für die Translation von Radio­immuntherapie-Kombinationen unter Verwendung schwerer Ionen in die Klinik“, erläutern die beiden TRON-Wissenschaftlerinnen Fulvia Vascotto und Nadja Salomon.

„Ziel des aktuellen Experiments bei GSI und FAIR ist es, die Wirksamkeit von Kohlenstoffionen und Röntgenstrahlen (konventionelle Strahlentherapie), jeweils kombiniert mit einem mRNA-basierten, für ein Maustumormodell spezifischen Impfstoff, direkt zu vergleichen“, erklärt Alexander Helm, Wissenschaftler in der GSI-Abteilung Biophysik und für die Experiment­koordination zuständig. Das Experiment betritt absolutes Neuland: Eine Partikel­therapie mit Kohlenstoffionen und therapeutische Krebs­impfstoffe wurden bisher noch nie kombiniert.

Das Immunsystem spielt eine wichtige Rolle bei der Vermeidung und Heilung von Krebs. Im Normalfall erkennt es entartete Zellen und kann diese „aussortieren“. Doch zugleich besitzt es hochkomplexe Kontroll­mechanismen, um Überreaktionen zu vermeiden. Gerade dies können Krebszellen manchmal für sich nutzen und die Immun­überwachung herunterregulieren. Sie verschwinden damit gleichsam vom Radar, tarnen sich so geschickt, dass die körpereigene Abwehr den Feind nicht erkennt oder zu schwach ist, um ihn zu bekämpfen. Eine Immuntherapie kann das Immunsystem in diesem Kampf gegen den Krebs wieder aktivieren.

Der in präklinischen Studien bei TRON verfolgte Ansatz führt dazu, das Immunsystem über eine Impfung mit Boten-RNA (mRNA) zu stimulieren. Mit der Impfung – die zerbrechliche mRNA wird dabei in eine schützende Lipid-Hülle eingepackt – erhält der tumorerkrankte Organismus wertvolle Informationen. Wie ein Lehrer instruiert der von den Antigen-präsentierenden Zellen aufgenommene Impfstoff spezifisch das Immunsystem, aktiviert es zur Produktion von Antigenen und mobilisiert es gegen die mutierten Krebszellen. Dieser Krebsimpfstoff basiert auf ähnlichen Technologien wie die gegen Covid-19 eingesetzten mRNA-basierten Impfstoffe.

Es gibt bereits einen Hinweis darauf, dass eine konventionelle Strahlen­therapie (hochenergetische Röntgenstrahlung) als zweite Komponente neben einem mRNA-Impfstoff Synergien bewirkt, die sich als effizienter in der anti­tumoralen Wirkung zeigen und das Immunsystem stärken. Die immunologischen Effekte einer Schwerionen­therapie sind dagegen weniger bekannt. Die Strahlentherapie mit Kohlenstoff­ionen wurde bei GSI entwickelt und ist mittlerweile sehr erfolgreich in Heidelberg und Marburg sowie in neun weiteren Zentren weltweit für bestimmte Tumorformen in der klinischen Anwendung.

Kann die Strahlentherapie mit Kohlenstoffionen bei bestimmten Tumorarten von Vorteil sein und kann sie neue klinische Perspektiven für mehr Krebspatienten eröffnen? Möglicherweise ist diese Therapieform immunogener, könnte also eine noch stärkere Immunantwort auslösen als eine konventionelle Strahlentherapie und gemeinsam mit einem individualisierten mRNA-Impfstoff dazu führen, dass mehr Patienten auf diese therapeutische Kombination ansprechen. Das ist die Art von Fragen, auf die dieses Proof-of-Concept-Experiment eine Antwort geben möchte.

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung der GSI-Abteilung Biophysik hatte im vergangenen Jahr mit Hauptautor Alexander Helm bereits erste vielversprechende Ergebnisse für den möglichen Nutzen einer Behandlungskombination aus Kohlenstoff­ionen und Immun­therapie veröffentlicht. Die Forscher konnten demonstrieren, dass Kohlenstoffionen plus Immuntherapie bei der Kontrolle von Lungen­metastasen wirksamer sind als beide Therapien für sich allein genommen und auch wirksamer als Röntgenstrahlen plus Immuntherapie. Dabei waren allerdings Checkpoint-Inhibitoren statt des jetzigen therapeutischen mRNA-Impfstoffs Basis der Immuntherapie gewesen.

Der Fortgang der aktuellen Krebsforschung bei TRON in Mainz wird neue Antworten liefern, unter anderem im Hinblick auf die Tumorkontrolle oder -rückgang (hier ein kolorektales Adeno­karzinom) und über die Mechanismen, die immunologische Zellakteure bei den anti­tumoralen Effekten einbeziehen. Doch um dieses Potenzial noch besser ermessen zu können, muss weitere Forschung erfolgen und schließlich auch der Einsatz in klinischen Studien getestet werden. „Wissenschaftliche Synergien durch sich ergänzende Forschung wirken als Beschleuniger für die Entwicklung innovativer Therapie­ansätze. Gemeinsame Forschungs­aktivitäten, wie derzeit zwischen der GSI und TRON, sind daher von hoher Bedeutung für die zukunftsorientierte Krebsforschung“, betont Michael Föhlings, Geschäftsführer von TRON.

Die Weiterentwicklung der Therapie mit geladenen Teilchen ist ein Spezialgebiet von Marco Durante, dem Leiter der GSI-Abteilung Biophysik. Den Ergebnissen der TRON-Untersuchungen sieht er mit Spannung entgegen: „Die Teilchen­therapie ist stark im Wachstum begriffen und ist möglicherweise die wirksamste und präziseste Strahlen­therapie­technik. Sie mit hoch­modernen Impfstoffen zu kombinieren, ist ein äußerst vielversprechender Ansatz. Ziel dabei ist es immer, die zentrale Frage zu beantworten: Wie soll therapiert werden, um die effizienteste, die beste Immunantwort zu bekommen im Kampf gegen den Krebs? Die gesamte Erfahrung von TRON und GSI und FAIR auf dem Gebiet der Krebsforschung wird dabei gebündelt und verstärkt. Das ist für mich ein Highlight unseres aktuellen FAIR-Phase-0-Experimentier­programms.“

GSI / DE

 

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