30.03.2021

Diffusion mit Mikrofluktuation

Theorie erklärt Transport von Molekülen innerhalb von Zellen oder in der Nähe von aktiven Oberflächen.

Tropft man Tinte in ein Glas mit ruhendem Wasser, dann bewirkt die Diffusion die langsame Färbung des Wassers. Doch obwohl seit vielen Jahrzehnten bekannt ist, wie Diffusions­prozesse beschrieben werden können, ist noch nicht gut verstanden, wie sie in komplexeren Systemen wie lebenden Organismen funktionieren. Eine jetzt veröffentlichte Studie bietet neue Einblicke in den Diffusions­prozess komplexer Systeme. Hartmut Löwen vom Institut für theoretische Physik II der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) entwickelte gemeinsam mit Arnold Mathijssen von der University of Pennsylvania und Francisca Guzman-Lastra von der Universidad de Chile in Santiago einen neuen theoretischen Rahmen der Diffusion. Dieser hat weitreichende Auswirkungen auf eine Reihe von Systemen mit aktiven Oberflächen, darunter Biofilme und aktive Beschichtungen. Ebenfalls lassen sich daraus möglicherweise Mechanismen ableiten, um Krankheits­erreger zu beseitigen.
 

Abb.: Ein aktiver Teppich aus molekularen Motoren (orange große Kugeln)...
Abb.: Ein aktiver Teppich aus molekularen Motoren (orange große Kugeln) erzeugt starke Flussfelder, die die Diffusion von Partikeln (graue kleine Kugel) erhöhen. (Bild: A. Mathijssen)

Löwen sagt: „Im Prinzip wird Diffusion durch die sogenannten Fickschen Gesetze beschrieben. Sie besagen, dass Partikel, Atome oder Moleküle immer von einem Bereich hoher zu einem mit niedriger Konzentration driften.“ Damit bestimmt die Diffusion die Ausbreitung kleiner Moleküle im Körper. Wenn die zu transportierenden Partikel jedoch größer werden – wie Proteine oder Zellen –, ist die Standard­diffusion zu langsam für einen echten Transport. 

Solche Partikel benötigen aktive Transport­komponenten. In der Biologie werden diese als „aktive Teppiche“ bezeichnet – zum Beispiel Zyto­skelett­motoren oder Zilien, die der Umgebung geringe Energie­mengen hinzufügen, damit die Diffusion effizienter wird. Noch vor dem Corona-bedingten Lockdown etablierte sich bei einem Besuch in Düsseldorf die internationale Zusammen­arbeit zwischen Löwen, Mathijssen und Francisca Guzman-Lastra. Sie wollten verstehen, wie aktive Bewegung auf Substraten effektive Lösungs­mittelflüsse anwerfen können. 

Biofilme sind ein wichtiges Beispiel für aktive Teppiche. Es handelt sich dabei um Schichten von Mikro­organismen – wie Bakterien, Algen oder Pilzen – und auch mehrzelligen Organismen, die sich auf Oberflächen entwickeln und dort eine Schleim­schicht bilden. Diese Filme sind gerade in der Medizin kritisch, da sich darin auch Krankheitserreger vermehren können, die durch den Schleim vor dem Immun­system geschützt sind.

Bakterien in Biofilmen erzeugen mit ihren Flagellen oder Geißeln „Ströme“, die Flüssigkeit und Nährstoffe aus ihrer Umgebung pumpen. Wie können sich Biofilme aber selbst versorgen, wenn Nährstoffen nur eingeschränkt zugänglich sind? Dazu Löwen: „Sie können ihre Nahrungsaufnahme erhöhen, indem sie Ströme erzeugen. Aber dies kostet auch Energie. Die zentrale Frage für uns war: Wie viel Energie stecken sie hinein, um wieviel Energie herauszuholen?“

Um sowohl die Bakteriendynamik als auch die Fickschen Gesetze zu verstehen, entwickelten die Forscher ein Modell ähnlich der Stokes-Einstein-Gleichung, das die Gleichgewichts­beziehung zwischen Temperatur und Diffusion beschreibt. Sie fanden heraus, dass mikroskopische Schwankungen die Veränderungen erklären können, die sie bei der Partikel­diffusion sahen. Das neue Modell ergab auch, dass die durch kleine Bewegungen erzeugte Diffusion unglaublich effizient ist und es Bakterien ermöglicht, mit nur kleinem Energie­einsatz eine große Menge an Nahrung zu gewinnen.

„Wir haben jetzt eine Theorie abgeleitet, die den Transport von Molekülen innerhalb von Zellen oder in der Nähe von aktiven Oberflächen vorhersagt“, so Guzman-Lastra, und weiter: „Mein Traum wäre es, dass diese Theorien in verschiedenen biophysikalischen Umgebungen angewandt wird." Mathijssen weist auf die Zilien in der Lunge hin, die die erste Verteidigungslinie gegen Krankheits­erreger wie COVID-19 bilden. Sie sind ein weiteres wichtiges Beispiel für aktive Teppiche in der Biologie: „Neben einem generellen experimentellen Test steht ganz oben auf der Agenda, ob unsere Theorie der aktiven Teppiche mit der Beseitigung von Krankheits­erregern in den Atemwegen in Verbindung gebracht werden kann.“ 

HHU / DE
 

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