02.08.2021

Die tiefen Töne der Sonne

Neue Schwingungen der Sonne mit sehr langen Perioden entdeckt.

Sonnenphysiker unter der Leitung von Laurent Gizon vom Max-Planck-Institut für Sonnensystem­forschung und der Universität Göttingen haben globale Schwingungen der Sonne mit sehr langen Perioden, vergleichbar mit der 27-tägigen Rotations­periode der Sonne, entdeckt. Die Schwingungen zeigen sich an der Sonnen­oberfläche als riesige Wirbel­bewegungen mit Geschwindig­keiten in der Größenordnung von fünf Kilometern pro Stunde. Möglich wurde die Entdeckung durch das Auswerten von Messdaten der Nasa-Raumsonde Solar Dynamics Observatory (SDO), die einen Zeitraum von zehn Jahren abdecken. Mit Hilfe von Computer­simulationen konnten die Forschenden zeigen, dass es sich bei den neu entdeckten Schwingungen um Resonanz­moden handelt, die ihre Existenz der differentiellen Rotation der Sonne verdanken. Sie werden dazu beitragen neue Wege zu finden, das Sonneninnere zu untersuchen und Informationen über die innere Struktur und Dynamik unseres Sterns zu erhalten.

Abb.: Schwingungs­zyklen der Sonne: Trägheits­mode mit maximaler...
Abb.: Schwingungs­zyklen der Sonne: Trägheits­mode mit maximaler Geschwin­digkeit in mittleren Breiten­graden. (Bild: MPS)

Die „hohen Töne“ der Sonne sind seit den 1960er Jahren bekannt: Wissenschaftler hatten entdeckt, dass die Sonne wie eine Glocke schwingt. Plasma­ströme nahe der Sonnen­oberfläche regen Millionen von Moden akustischer Wellen mit kurzen Perioden von etwa fünf Minuten an, die im Sonneninneren gefangen sind. Mit Hilfe von erdgebundenen Teleskopen und Weltraum­observatorien werden diese schnellen Schwingungen seit Mitte der 1990er Jahre ununter­brochen beobachtet. Helioseismologen konnten auf diese Weise mehr über die innere Struktur und Dynamik unseres Sterns erfahren. Einer der großen Erfolge der Helioseismologie war das Kartieren der Sonnenrotation in Abhängigkeit von der Tiefe und der helio­graphischen Breite, der differentiellen Rotation. 

Zusätzlich zu den kurz­periodischen Schwingungen wurde schon vor mehr als vierzig Jahren vorhergesagt, dass Sterne auch Schwingungen mit deutlich längeren Perioden aufweisen. Auf der Sonne konnten sie bisher nicht vollständig identifiziert werden. „Die lang­periodischen Schwingungen hängen von der Rotation der Sonne ab; sie sind nicht akustischer Natur“, sagt Laurent Gizon, Direktor am MPS. „Um die lang­periodischen Sonnen­schwingungen zu entdecken, ist es erforderlich, die horizontalen Bewegungen an der Sonnenoberfläche über viele Jahre hinweg zu messen. Die ununter­brochenen Beobachtungen des Helioseismic and Magnetic Imager (HMI) an Bord von SDO sind für diesen Zweck perfekt geeignet“, sagt er.

Das Team beobachtete einige Dutzend Schwingungsmoden, jede mit ihrer eigenen Schwingungs­periode und räumlichen Abhängigkeit. Einige Schwingungs­moden haben maximale Fluss­geschwindig­keiten an den Polen, einige in mittleren Breiten und einige in der Nähe des Äquators. Diejenigen mit hohen Geschwindig­keiten am Äquator entsprechen den solaren Rossby-Wellen, die das Team bereits 2018 identifiziert hatte. „Die lang­periodischen Oszillationen manifestieren sich als sehr langsame Wirbel­bewegungen an der Sonnenoberfläche mit Geschwindig­keiten von etwa fünf Kilometern pro Stunde. Das ist etwa so schnell wie ein Mensch geht", sagt Zhi-Chao Liang vom MPS. Kiran Jain vom National Solar Observatory (NSO) sowie B. Lekshmi und Bastian Proxauf vom MPS bestätigten die Ergebnisse mit Daten der Global Oscillation Network Group (GONG), eines Netzwerks von sechs Sonnen­observatorien in den USA, Australien, Indien, Spanien und Chile.

Um das Wesen der neu entdeckten Schwingungen besser zu verstehen, verglich das Team die Beobachtungsdaten mit den Ergebnissen von Computermodellen. „Die Modelle erlauben uns, in das Innere der Sonne zu schauen und die volle drei­dimensionale Struktur der Schwingungen zu bestimmen", erklärt Doktorand Yuto Bekki. Um die simulierten Schwingungen zu erhalten, begann das Team mit einem Modell des inneren Aufbaus der Sonne und ihrer differen­tiellen Rotation, das auf helioseismologischen Daten basiert. Zudem bezogen die Forschenden die Stärke der konvektiven Ströme in den oberen Schichten und der turbulenten Bewegungen ein. Werden kleine Störungen des Sonnenmodells berücksichtigt, ergeben sich die freien Schwingungen des Modells. Die entsprechenden Geschwindig­keiten an der Oberfläche stimmen gut mit denen der beobachteten Schwingungen überein und ermöglichten es dem Team, die Moden zu identi­fizieren.

„All diese neuen Oszillationen, die wir auf der Sonne beobachten, werden stark von der differentiellen Rotation der Sonne beeinflusst", sagt Damien Fournier. Die Abhängigkeit der Sonnen­rotation vom Breitengrad bestimmt, wo die Geschwindigkeit der Moden am größten ist. „Die Schwingungen hängen zudem empfindlich von Eigenschaften des Sonneninneren ab: insbesondere von der Stärke der turbu­lenten Bewegungen und der damit verbundenen Viskosität des Sonnenmediums sowie von der Stärke des konvektiven Antriebs", sagt Robert Cameron. Diese Abhängigkeit ist an der Basis der Konvektions­zone etwa zweihunderttausend Kilometer unter der Sonnen­oberfläche stark ausgeprägt. „So wie wir mit der Helioseismo­logie akustische Schwingungen nutzen, um mehr über die Schall­geschwindigkeit im Sonneninneren zu erfahren, können wir die lang­periodischen Schwingungen nutzen, um mehr über die turbulenten Prozesse zu lernen", sagt er.

„Die Entdeckung einer neuen Art von Sonnen­schwingungen ist sehr aufregend. Sie erlaubt uns, auf Eigenschaften wie die Stärke des konvek­tiven Antriebs zu schließen, die letztlich den solaren Dynamo steuern", sagt Gizon. Das diagnostische Potenzial der langperiodischen Moden wird in den kommenden Jahren mit Hilfe eines neuen Exascale-Computer­modells, das im Rahmen des Projekts Wholesun entwickelt wird, voll ausgeschöpft.

MPS / JOL

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