25.10.2019

Die schnelle Quelle schwerer Elemente

Große Mengen an neu entstandenem Strontium bestätigen Neutronenstern-Kollisionen als Ursprung von r-Prozess-Elementen.

Zum ersten Mal haben Astronomen ein chemisches Element identifiziert, das durch das Verschmelzen zweier Neutronen­sterne gebildet wurde. Der verantwortliche Mechanismus – der schnelle Neutronen­einfang – gilt als der Ursprung großer Mengen von Elementen, die schwerer sind als Eisen. Diese Entdeckung wirft neues Licht auf das Rätsel über diejenigen Objekte, in denen dieser r-Prozess stattfindet. Mit wichtigen Beiträgen des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) in Heidelberg konnten Astronomen nun eindeutig zeigen, dass die Vereinigung zweier Neutronensterne die Voraus­setzungen für diesen Prozess schafft und als Reaktor dient, in dem neue Elemente erbrütet werden. 
 

Abb.: Künstlerische Darstellung der Kollision von zwei Neutronen­sternen...
Abb.: Künstlerische Darstellung der Kollision von zwei Neutronen­sternen (Bild: U. Warwick / M. Garlick / ESO)

Die Herkunft von schweren Elementen wie Gold, Blei und Uran ist bis heute nicht völlig geklärt. Die leichtesten Elemente – Wasserstoff und Helium – wurden in nennenswerten Mengen bereits mit dem Urknall erzeugt. Die Kernfusion in den Zentren der Sterne ist zudem als Quelle für Atome vom Helium bis hin zum Eisen gut etabliert.

Für die Erzeugung von schwereren Atomen vermuten Wissenschaftler einen Prozess, der freie Neutronen an bereits bestehende Bausteine anlagert. Die schnelle Variante dieses Mechanismus ist der r-Prozess (rapid) oder schneller Neutroneneinfang. Welche Objekte solche Reaktionen ermöglichen, wird derzeit erforscht. Als potentielle Kandidaten gelten bislang seltene Formen von Supernova­explosionen und die Verschmelzung von dichten Endstadien von Sternen wie Neutronen-Doppelsterne.

Eine internationale Gruppe von Astronomen mit wesentlicher Beteiligung von Camilla Juul Hansen vom MPIA hat nun durch die Auswertung von Spektren die Signatur des Elements Strontium entdeckt, das während einer explosionsartigen Verschmelzung von zwei Neutronen­sternen durch den r-Prozess gebildet wurde.

Die explosive Vereinigung erzeugte eine Blase, die sich mit rasenden zwanzig bis dreißig Prozent der Licht­geschwindigkeit ausdehnt. Der Anteil des neu gebildeten Strontiums an der expandierenden Hülle beträgt etwa fünf Erdmassen. Somit liefern die Forscher zum ersten Mal den eindeutigen Nachweis, dass solch eine Kollision die Bedingungen für den r-Prozess bietet, in denen schwere Elemente erzeugt werden können. Nebenbei ist dies die erste direkte empirische Bestätigung, dass Neutronensterne aus Neutronen bestehen.

Der r-Prozess ist wahrhaftig rasant. Pro Sekunde strömen mehr als 1022 Neutronen durch eine Fläche von einem Quadrat­zentimeter. Durch den Beta-Zerfall verwandeln sich einige der angehäuften Neutronen in Protonen, wobei jeweils ein Elektron und ein Antineutrino abgegeben werden. Das Besondere an dieser Reaktion ist, dass sich die Neutronen schneller zu großen Objekten zusammenfügen, als dass die neu entstandenen Konglomerate wieder zerfallen. So können selbst aus einzelnen Neutronen innerhalb weniger als eine Sekunde schwere Elemente entstehen.

Die Daten wurden im Nachgang der spektakulären Entdeckung des Gravitations­wellensignals GW170817 vom August 2017 mit dem Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Süd­sternwarte (ESO) erstellt. Neben einem Gammastrahlungs­ausbruch wurde an der selben Stelle die Kilonova AT2017gfo beobachtet, ein Nachleuchten im sichtbaren Licht aufgrund der radioaktiven Prozesse, das nach einem zunächst starken Helligkeits­anstieg innerhalb weniger Tage verblasste. Die erste Analyse der Spektren im Jahr 2017 durch eine andere Forschungsgruppe konnte zunächst kein klares Ergebnis über die Zusammen­setzung der Reaktions­produkte liefern.

Die aktuelle Auswertung von Hansen und ihren Kollegen basiert auf der Erstellung von synthetischen und der Modellierung der beobachteten Spektren, die über vier Tage hinweg in einem Abstand von je einem Tag aufgenommen wurden. Die Spektren deuten auf ein Objekt mit einer anfänglichen Temperatur von rund 4000 Kelvin hin, welches sich in den folgenden Tagen abschwächte und abkühlte. Auffällig sind die Helligkeits­defizite bei Wellenlängen von 350 und 850 Nanometern. Diese sind die Fingerabdrücke des Elements, das an diesen Stellen Licht absorbiert.

Unter Berücksichtigung der Blauverschiebung dieser Absorptions­banden, die durch die Expansion der Hülle wegen des Doppler-Effekts hervorgerufen wird, hat die Forschungsgruppe synthetische Spektren von einer großen Anzahl von Atomen mittels dreier Methoden mit zunehmender Komplexität berechnet. Da all diese Methoden konsistente Ergebnisse liefern, gilt die Schluss­folgerung als robust. Es stellte sich heraus, dass einzig Strontium, erzeugt durch den r-Prozess, in der Lage ist, die Positionen und die Stärke der Absorptions­linien in den Spektren zu erklären.

„Die Ergebnisse dieser Arbeit sind ein wichtiger Schritt bei der Entschlüsselung der Nukleo­synthese von schweren Elementen und ihren kosmischen Brutstätten“, schlussfolgert Hansen. „Dies war nur durch die Verknüpfung der erst jungen Disziplin der Gravitations­wellen­astronomie mit präziser Spektroskopie elektromagnetischer Strahlung möglich. Diese neuen Messmethoden geben Hoffnung auf weitere bahnbrechende Erkenntnisse über die Eigenschaften des r-Prozesses.“

MPIA / DE
 

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