10.03.2023

Die Rettung des Himmels

Megakonstellationen und Weltraumschrott gefährden zunehmend Raumfahrt und Astronomie, wie die neue „Physik in unserer Zeit“ erläutert.

Bang blicken derzeit die Astronomen gen Himmel, wenn sie an „Mega­konstellationen“ denken, Satelliten­verbände, die auf niedrigen Umlauf­bahnen (Low-Earth-Orbits oder LEOs) unterhalb von 2000 km über der Erdoberfläche operieren. Das hehre Ziel von Starlink, Kuiper, OneWeb, AST und Konsorten ist die digitale Erreichbar­keit auf dem ganzen Erdball. Hierzu werden viele Satelliten benötigt. Zwar nicht Millionen, wie die Vorsilbe „Mega“ andeutet, aber doch maximal einige Zehntausend Satelliten. Myria­konstellationen wäre eine korrektere Bezeichnung. Schätzungen gehen von über vierzig­tausend LEO-Satelliten aus, die bis zum Ende des Jahrzehnts in Erdumlauf gebracht werden sollen. Die niedrigen Orbits garantieren einen schnellen Informationsaustausch, da durch die kürzere Entfernung die Laufzeit zwischen Satellit und Terminal verringert wird. Eine weitere Konsequenz ist, dass sich die Satelliten mit hoher Geschwindigkeit am Himmel bewegen.

 

Wir alle haben sie schon gesehen, Satelliten, die das Sonnenlicht reflektieren und am Abend- oder Nachthimmel vorüberziehen. Ein sich schnell bewegender Satellit, der bei einer minutenlangen astronomischen Aufnahme durch das Gesichtsfeld wandert, ruft einen überbelichteten Streifen im erzeugten Bild hervor. Die entsprechenden Pixel stehen für eine wissenschaftliche Analyse nicht mehr zur Verfügung. Das gilt schon für einen leucht­schwächeren Satelliten. Viele sind aber sogar mit bloßem Auge sichtbar, was nicht nur ein ästhetisches und kulturelles Problem darstellt. Sie gefährden ganze Aufnahmen und sogar die Messapparatur. Der Betrieb von Mega­konstellationen hat daher aufgrund der hohen Anzahl der Satelliten zur Folge, dass viel Zeit – und damit Geld – für astronomische Beobachtungen verloren geht.

Besonders betroffen sind Teleskope mit großem Gesichtsfeld – weil die Wahrscheinlichkeit, Satelliten zu finden, größer wird – und Beobachtungen, die zeitnah zur Dämmerung erfolgen, weil dann weniger Satelliten durch die Erde abgeschattet werden. Hierzu zählen auch Himmels­durchmusterungen auf der Suche nach Asteroiden oder Kometen, die der Erde gefährlich nahe kommen könnten. Die Radioastronomie ist ebenfalls in besonderem Maße beeinträchtigt, da es keinen Platz auf der Erde gibt, an dem man der störenden Radio­strahlung ausweichen kann, die von den vielen elektronischen Satelliten­bauteilen ausgesandt wird.

Abb.: Gyula I. G. Józsa arbeitet als Wissenschaftler am Radioteleskop...
Abb.: Gyula I. G. Józsa arbeitet als Wissenschaftler am Radioteleskop Effelsberg für das Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, kümmert sich dort um Fragen des Schutzes von radioastronomisch genutzten Frequenzen und forscht im Bereich der Galaxienentwicklung.

Ohne Gegenmaßnahmen gefährden Megakonstellationen also eine der ältesten und bedeutendsten Disziplinen der Physik, die in den letzten 20 Jahren 17 Nobelpreisträger gestellt hat. Die Internationale Astronomische Union hat daher 2022 ein neues Zentrum zum Schutz des Nachthimmels vor Störungen durch Satelliten­konstellationen gegründet, um die weltweiten Anstrengungen zur Vermeidung der negativen Auswirkungen der Mega­konstellationen zu koordinieren. Hierzu bedarf es der Zusammenarbeit mit Regierungen, Regulierungs­behörden und den Satelliten­betreibern, um Regeln aufzustellen und technische Lösungen zu suchen.

Es ist höchste Zeit zu handeln. Viele Länder, Deutschland eingeschlossen, haben noch nicht einmal ein Weltraum­gesetz, das bitter nötig ist, um Verkehrs­regeln für Satelliten überhaupt aufzustellen. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Astronomie, sondern auch um wirtschaftliche, Planungs- und Umweltaspekte. Wie kann ein Kessler-Syndrom vermieden werden? Das ist eine sich zerstörerisch ausbreitende Wolke aus Weltraum­schrott, die mit jedem Satelliten­start wahrscheinlicher wird und die bestimmte Bereiche im Erdorbit über Jahrzehnte für den Weltraum­verkehr unbenutzbar machen kann.

Welche Auswirkungen die Anreicherung der oberen Atmosphäre mit metallischem Weltraum­schrott und den beim Wiedereintritt verglühenden Teilen ausgedienter Satelliten überhaupt hat, ist noch gar nicht hinreichend erforscht. Es ist sehr dringend, durch Regeln, Forschung und innovative Technologie den Himmel zu retten und eine nachhaltige Nutzung des Weltraums zu garantieren, wie auch Stefan Scharring, Gerd Wagner, Wolfgang Riede und Thomas Dekorsy ab Seite 66 darlegen. Obwohl wir dafür bereits recht spät dran sind, bin ich optimistisch, dass uns das, nach den gelernten Lektionen beim Klima- und Artenschutz, diesmal gelingt.

Gyula I. G. Józsa

 

 

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