Diagnose per Laserstrahl
11.09.2019 - Neues optisches Verfahren macht altersbedingter Augenerkrankungen frühzeitig sichtbar.
Immer mehr Menschen leiden an altersbedingten Sehstörungen. In vier von fünf Fällen wären diese laut WHO vermeidbar, wenn sie frühzeitig diagnostiziert würden. Ein europäisches Wissenschaftlerteam hat jetzt eine neue optische Methode erforscht, mit der Mediziner solche Erkrankungen im Auge künftig besser erkennen können. Das Verfahren liefert in Sekundenschnelle detaillierte Informationen über das Netzhautgewebe. So können Ärzte aggressive Formen altersbedingter Makuladegeneration künftig eher entdecken und neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer auf die Spur kommen.
Ein Laserstrahl trifft aufs Auge: Was zunächst eher nach Verletzungsgefahr klingt, eröffnet in diesem Fall eine Chance auf Heilung. „Wir nutzen das Laserlicht, um umfassende molekulare Informationen über die Netzhaut und damit frühzeitig Hinweise auf Erkrankungen zu erhalten“, erläutert Clara Stiebing vom Leibniz-IPHT. Um herauszufinden, wie viel Laserenergie das Auge verträgt und welchen optischen Weg der Laser darin nimmt, haben die Forscherin und ihre Teamkollegen Netzhaut-Proben untersucht und dafür einen Aufbau konstruiert, der die Gegebenheiten im menschlichen Auge nachbildet.
Wie intensiv der Laser sein darf, haben die Forscher anhand geltender Sicherheitsvorschriften genau berechnet. Das Ergebnis: ein Laserstrahl, der zwanzigmal schwächer ist als Laser, die sonst von ihnen für spektroskopische Messungen verwendet wird. Mithilfe markierungsfreier, molekular empfindlicher Raman-Spektroskopie gelingt es ihnen, einen molekularen Fingerabdruck der Netzhaut zu gewinnen. Der verrät, wie hoch der Gehalt an Lipiden, Proteinen, Carotinoiden und Nukleinsäuren ist. So werden Veränderungen der Netzhaut sichtbar, anhand derer Mediziner Erkrankungen bereits in einem frühen Stadium erkennen können.
Eine besondere Herausforderung für die Forscher bestand darin, dass die Bedingungen im menschlichen Auge für optische Messungen nicht optimal sind. „Dass wir auch mit dem abgeschwächten Laserstrahl dennoch aussagekräftige, belastbare Ergebnisse erzielen, zeigt deutlich, dass wir mit unserer Technologie künftig umfassende molekulare Informationen über die Struktur der Netzhaut erhalten können“, so Stiebing. Ihre Kollegen von der Medizinischen Universität Wien bauen derzeit ein Gerät, das die Raman-Spektroskopie mit der optischen Kohärenztomografie kombiniert. Mithilfe dieser OCT lässt sich die Morphologie der Netzhaut sehr schnell darstellen und verdächtige Stellen identifizieren. Diese können dann mittels der Raman-Spektroskopie auf molekularer Ebene charakterisiert werden. „So erhalten wir hochaufgelöste Bilder aus allen Schichten der Netzhaut mitsamt den Informationen über ihre molekulare Zusammensetzung“, erläutert Jürgen Popp vom Leibniz-IPHT. „Dass wir die bisher in der Ophtamologie eingesetzte OCT nun mit der Raman-Spektroskopie ergänzen können, kann die Genauigkeit der Diagnosen entscheidend verbessern.“
Momentan arbeitet das Forscherteam an der medizinischen Zulassung des Geräts. Sobald diese erfolgt ist, kann es an ersten Patienten getestet werden. Diese würden sich dann vor das Gerät setzen, ihr Auge berührungsfrei abrastern lassen und wenige Minuten später eine verlässliche Diagnose erhalten.
IPHT / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
C. Stiebing et al.: Nonresonant Raman spectroscopy of isolated human retina samples complying with laser safety regulations for in vivo measurements, Neurophotonics 6, 041106 (2019); DOI: 10.1117/1.NPh.6.4.041106 - Abt. Spektroskopie/Bildgebung (J. Popp), Leibniz-Institut für photonische Technologien, Jena
- Projekt MOON - Multimodal Optical Diagnosis of Ocular and Neurodegenerative Disease, Medizinische Universität Wien, Österreich