28.08.2015

Der Trick mit der Tischdecke

Wie man eine Tischdecke unfallfrei unter einem Weinglas wegzieht und daraus auch noch physikalische Lehren zieht.

Eine Decke unter einem Service feinsten Porzellans oder Gläsern wegzuziehen, ohne dass etwas vom Tisch fällt und zerbricht, ist eine Herausforderung. Aber viele Vorführungen beweisen: es funktioniert. Hochgeschwindigkeits-Videos können diesen heiklen Experimenten physikalische Details entlocken.

Ein Seidentuch wird unter einem Glas und einer Flasche schnell weggezogen: beide bleiben auf dem Tisch stehen (Highspeed-Video (1000 Bilder/s), Vollmer/Möllmann).

Physikalisch wird das Experiment häufig rein qualitativ im Zusammenhang mit Massenträgheit erklärt: Bei schneller Bewegung werden die Objekte auf der Tischdecke aufgrund ihrer Trägheit nicht mitgerissen. Andererseits zeigt das Video, dass der Wein im Glas in Bewegung kommt. Es müssen also Kräfte wirken.

Eine genauere Analyse, die über die Massenträgheit hinausgehend die wirkenden Kräfte mit den verschiedenen auftretenden Reibungskoeffizienten verknüpft und damit eine quantitative Beschreibung ermöglicht, ist zwar schon lange bekannt, aber anscheinend in Vergessenheit geraten.

Man benötigt einen relativ glatten Tisch, eine leichte, gut gleitende Tischdecke ohne äußeren Saum sowie die Objekte. Wir wählten neben einer Flasche ein mit Rotwein gefülltes Weinglas mit recht hohem Schwerpunkt.

Im Wesentlichen sind für die Analyse zwei Gleitreibungskoeffizienten relevant: Derjenige zwischen Decke und Objekt sowie – nachdem die Decke entfernt wurde – zwischen Objekt und Tisch. Es zeigt sich, was intuitiv klar ist: Das Experiment glückt am ehesten für kleine Reibungskoeffizienten zwischen Decke und den Objekten und eine kurze Zeitspanne des Vorgangs: Je schneller die Decke herausgezogen wird, desto weniger bewegt sich das Objekt.

Hochgeschwindigkeits-Videos ermöglichen es nun, die Reibungskoeffizienten quantitativ zu ermitteln. Gleichzeitig zeigen sie, dass sich die Gegenstände bei dem Wegziehen des Tuches sehr wohl bewegen. Aus den Videos lassen die Bremswege als Funktion der maximalen Objektgeschwindigkeit messen und mit einer einfachen Theorie vergleichen.

Seitliche Flüssigkeitsauslenkungen während Beschleunigung und Abbremsung gestatten eine Maximalwertabschätzung der Reibungskoeffizienten (Highspeed-Video (1000 Bilder/s), Vollmer/Möllmann).

Das zweite Video zeigt die Bewegung eines Glases und der darin befindlichen Flüssigkeit für ein anderes Experiment. Hier wird ein Papierbogen unter dem Glas weggezogen. In der Beschleunigungsphase ergibt sich eine Überlagerung aus Trägheitskraft und Gravitationskraft. Würde die konstante Beschleunigung sehr lange wirken, würde sich ein konstanter Neigungswinkel der Flüssigkeit gegen die Horizontale einstellen. Bei der hier nur kurz wirkenden Kraft schwappt die Flüssigkeit bei Erreichen dieses Neigungswinkels aufgrund ihrer Trägheit über dessen Wert hinaus, so dass der gemessene Maximalwinkel größer ist als erwartet. Danach beginnt die Abbremsung: die Trägheitskraft ändert ihr Vorzeichen, und es erfolgt eine Neigung in Gegenrichtung.

Da die Zeitdauer der einwirkenden, etwa konstanten Kraft bis zum Stillstand wieder recht kurz ist, stellt sich kein Gleichgewicht ein, das heißt, die Flüssigkeit schwappt wieder über den Gleichgewichtswert des Winkels hinaus. Insofern sollten die beobachteten Winkel zu groß sein. Allerdings erlauben sie eine Maximalabschätzung der Reibungskoeffizienten.

Im gezeigten Fall wurden bei Näherung von linear geneigten Flüssigkeitsprofilen Maximalwinkel von 15 Grad (Beschleunigung) und 19 Grad (Abbremsung) gefunden. Dem entsprechen obere Grenzen der Reibungskoeffizienten zwischen Glas und Papier von 0,27 sowie zwischen Glas und Tisch von 0,34.

Michael Vollmer, Klaus-Peter Möllmann, FH Brandenburg

Der Originalartikel ist in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen (nur für Online-Abonnenten frei zugänglich). Er enthält eine quantitative Analyse sowie weitere Experimente. Zwei weitere Videos finden sie auf unserer Seite mit Zusatzmaterial zu den Artikeln

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