05.06.2019

Asymmetrische Charm-Quarks

LHCb-Experiment weist erstmals Verletzung der CP-Symmetrie durch Charm-Quarks nach.

Die schwache Kernkraft ist berüchtigt dafür, in Symmetrie­fragen aus der Reihe zu tanzen. Zwar ist sie um viele Größen­ordnungen schwächer als die starke Kernkraft und die elektro­magnetische Kraft. Aber dennoch kommt ihr eine wichtige Rolle bei der Entstehung aller Materie im Universum zu: Denn die beiden stärkeren Kräfte verhalten sich in Bezug auf die fundamentalen physi­kalischen Symmetrien exakt spiegel­bildlich und können deshalb unter anderem nicht erklären, weshalb unser Universum aus Materie und nicht aus Anti­materie besteht. Nur ein symmetrie­brechender Prozess hat den heute vorliegenden Überschuss an normaler Materie erzeugen können. Die schwache Kernkraft liefert ein Erklärungs­modell hierzu, da sie die CP-Symmetrie verletzt, derzufolge sich ein Teilchen wie sein eigenes Anti­teilchen im Spiegelbild verhalten sollte. Auf diese Weise können schwache Prozesse zwischen Teilchen und Antiteilchen unter­scheiden und zu verschiedenen Produktions­raten beider Arten von Materie führen.

Abb.: Blick in den zu Revisionszwecken geöffneten LHCb-Detektor. (Bild: D....
Abb.: Blick in den zu Revisionszwecken geöffneten LHCb-Detektor. (Bild: D. Eidemüller)

In der Quantenfeld­theorie wird dies durch den Mischwinkel der Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix bei der schwachen Quark-Wechsel­wirkung beschrieben. Bereits 1964 – nur rund ein Jahr nach ersten theoretischen Arbeiten von Nicola Cabibbo – konnten amerikanische Wissen­schaftler mit Hilfe des Alternating Gradient Synchrotron am Brookhaven National Laboratory erstmals eine CP-Verletzung an K-Mesonen (Kaonen) nachweisen, die Strange-Quarks enthielten. Diese Beobachtung war damals sehr überraschend: Eine derartige Symmetrie­verletzung ließ sich erst knapp zehn Jahre später theoretisch erklären, als Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa die Konzepte von Cabibbo von zwei auf drei Teilchen­generationen erweitert hatten. Denn erst bei drei Generationen tritt ein irre­duzibler komplexer Winkel in dieser Matrix auf, der für die Symmetrie­verletzung sorgt. Im Jahr 2001 konnten Forscher der Belle- und Babar-Kolla­borationen eine solche CP-Verletzung dann auch an B-Mesonen nachweisen, die Bottom-Quarks enthalten. Nun ist endlich auch das Charm-Quark mit im Bunde: Wie die Wissen­schaftler der LHCb-Kolla­boration am CERN vermelden, konnten sie in verschiedenen Zerfalls­kanälen eine CP-Verletzung bei einer bestimmten Art von D-Mesonen beobachten.

Charm-Quarks gehören ebenso wie Strange-Quarks zur zweiten Generation der Elementar­teilchen. Nach der Theorie ist bei ihnen der symmetrie­verletzende Charakter aber nur schwach ausgeprägt – im Gegensatz zu den deutlich schwereren B-Quarks, die deshalb zu den bevor­zugten Testsystemen für derartige exotische Phänomene dienen. Deshalb sind eine gute Statistik und eine starke Unterdrückung des Untergrundes entscheidend, um CP-Verletzung bei Charm-haltigen Prozessen nachweisen zu können.

Bei ihren Experimenten untersuchten die Forscher der LHCb-Kolla­boration Proton-Proton-Kollisionen bei einer Schwerpunkts­energie von 13 TeV. Dabei interes­sierten sie sich vor allem für die Zerfälle von D0-Mesonen in entweder ein K-Meson und ein K+-Meson oder in je ein positiv und ein negativ geladenes Pion. D-Mesonen enthalten genau ein Charm-Quark. D0-Mesonen bestehen außerdem noch aus einem Anti-Up-Quark, so dass sie elektrisch neutral sind. Dasselbe gilt für Anti-D0-Mesonen, die aus einem Up-Quark und einem Anti-Charm-Quark aufgebaut sind. K-Mesonen bestehen aus einem Up- und einem Anti-Strange-Quark – beziehungs­weise den jeweiligen Anti­teilchen. Pionen bestehen aus Up- und Anti-Down-Quarks oder deren Anti­teilchen. Bei den unter­suchten Zerfällen von D0-Mesonen muss also jeweils ein W-Boson über die schwache Wechsel­wirkung eine Änderung des Quarktyps vermittelt haben. Eine CP-Verletzung führt dabei zu unter­schiedlichen Produktions­raten, was sich mit hinreichend hoher Statistik nachweisen lässt.

Nach dem Standard­modell sollte die Asymmetrie im Bereich von 10−4 bis 10−3 liegen. Der gemessene Wert beträgt −1.54×10−3, was am oberen Rand der Erwartungen liegt, aber noch mit dem Standard­modell verträglich ist. Dank der Wahl der Observablen erwies sich die Analyse als sehr robust gegenüber systema­tischen Effekten. Insgesamt untersuchten die Wissen­schaftler 53 Millionen D-Meson-Zerfälle in Kaonen und 17 Millionen Zerfälle in Pionen. Dabei erhielten sie eine sta­tistische Signifikanz von über fünf Sigma.

Wie Analysen gezeigt haben, reicht die CP-Verletzung bei solchen Prozessen aber nicht aus, um die Häufigkeit von Materie gegenüber Anti­materie ausreichend zu erklären. Nun ist diese Asymmetrie bei den negativ geladenen Strange- und Bottom-Quarks stärker ausgeprägt als bei den positiv geladenen Charm- oder Top-Quarks, weshalb sie bei letzteren schwerer zu untersuchen ist. Zugleich sagen etliche über das Standard­modell hinaus­reichende theoretische Ansätze im positiven Quark-Sektor aber eine stärkere CP-Verletzung als das Standard­modell voraus. Da Top-Quarks zu kurzlebig sind, um Meson-Zustände einnehmen zu können, dürfte die Messung der CP-Verletzung an Charm-Quarks nun großes Interesse unter Teilchen­physikern wecken, diese Zerfälle noch eingehender nach möglicher neuer Physik abzu­klopfen.

Dirk Eidemüller

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