Die Energiewende ist ein tiefgreifendes, auf die Zukunft gerichtetes nationales Experiment – mit erstaunlichen Erfolgen und langfristig unverzichtbaren Zielen, zugleich aber noch mit überraschenden und nahezu unauflösbaren Widersprüchen. Dabei herrscht ein verwirrendes Durcheinander kontroverser Standpunkte und Argumentationsebenen. Wer die Energiewende verstehen will, darf nicht nur eine einzige der zahlreichen Facetten betrachten, sondern muss sich vor allem auch um ein Gesamtbild und die sich dabei eröffnenden positiven Synergien bemühen.
Die wissenschaftlich-technischen Herausforderungen der Energiewende sind weitgefächert. Schlagworte sind: Elektromobilität, Wasserstoffwirtschaft, Versorgungssicherheit und Stabilität des europäischen Netzes, flexible Reservekraftwerke, weitreichende Hochspannungs-Gleichstromverbindungen, Stromspeicherung für kurze und lange Zeiträume, Smart Homes, intelligente Detailsteuerung der Nutzer und der vielfältigen Erzeuger, Stromumwandlung zu Wärme, Strom zu Treibstoff, Desertec-Strom aus der Sahara etc. Das alles gilt es intensiv zu erforschen, zu testen und zu bewerten. Noch ist offen, inwieweit dieses komplizierte Zusammenspiel einen weitgehenden Verzicht auf fossile Brennstoffe und auf Kernenergie ermöglichen kann. Dabei gilt es, die erstaunlichen Dimensionen einer notwendigen, sehr weitgehenden technischen Umstellung zu berücksichtigen. Selbst mit einem Aufwand, der „nur täglich einer Kugel Eis pro Person“ entspricht (rund 20 Milliarden Euro pro Jahr), wird diese neue „Industrielle Revolution“ nicht zu bewältigen sein.
Neben der wissenschaftlich-technischen Dimension, auf die wir uns hier konzentrieren möchten, ergibt sich eine Fülle von gesellschaftlich-politischen, ökonomischen und ökologischen Konflikten, wobei die Interessen von Parteien, Verbänden und Lobbygruppen oft eine dominierende Rolle spielen. Uns erscheinen viele der diskutierten Fragen nur als die „Spitze eines Eisbergs“ von grundlegenden, zum Teil ungelösten system- und energietechnischen Problemen, die sich zukünftig immer schärfer zeigen werden. Sie sind vor allem begründet in der Zunahme von schwankender und nicht bedarfsorientierter Stromproduktion aus erneuerbaren Energien (EE). Wir stehen vor der Herausforderung, mit Hilfe neuer Techniken, großer Speicher und steuerbarer Stromabnehmer die zukünftigen, sehr großen Überschüsse an EE-Strom wirtschaftlich sinnvoll einzusetzen. Kann man die aufstrebende Elektromobilität sowie die Wasserstofftechnologien effizient in diesen Prozess einbinden? Und wie können „konventionelle“ Kraftwerke, insbesondere Gaskraftwerke, in einem marktwirtschaftlichen Modell erhalten bleiben, um die besonders im Winter auftretenden wochenlangen Produktionslücken bei Solar- und Windenergie zu überbrücken? ...