29.05.2020

Zellen sortieren leicht gemacht

Hochgeschwindigkeitsmethode mit künstlicher Intelligenz erkennt Zelltypen allein anhand ihrer Verformbarkeit.

In Medizin und Biologie besteht ein großes Interesse an effizienten und kostengünstigen Methoden zur Identifizierung und Trennung verschiedener Zelltypen, beispielsweise für die medizinische Diagnostik oder für regenerative Therapien mithilfe von Stamm­zellen. Bislang wird dazu meist die Durchfluss­zytometrie verwendet, bei der Zellen mit fluoreszierenden Antikörpern markiert und beim Durchfluss durch einen Kanal identifiziert werden. Diese Methode hat jedoch ihre Schwachstellen: Sie ist nicht nur relativ teuer und zeit­intensiv, sondern auch die Antikörper selbst sind problematisch. Da sie körperfremd sind, können sie die Eigenschaften der Zellen, an die sie andocken, verändern und etwa bei einer Injektion in den Körper Schwierigkeiten bereiten. Auch ist die Identifikation von Zellen bei der Durchfluss­zytometrie nicht immer fehlerfrei. 
 

Abb.: Künstlerische Darstellung der KI-gestützten Sortierung einer...
Abb.: Künstlerische Darstellung der KI-gestützten Sortierung einer Blut­probe in einem Durchfluss­zytometer (Bild: MPL)

Als zusätzliches Unterscheidungs­merkmal lassen sich deshalb physikalische Eigenschaften der Zellen nutzen: Aufgrund des Zyto­skeletts, eines feinen Netzwerks von Filamenten in der Zellstruktur, besitzt jede Zellart charakteristische mechanische Eigenschaften wie etwa Form, Größe und insbesondere die Verform­barkeit. Ein Team um Jochen Guck, Direktor am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, hat darauf aufbauend vor einigen Jahren eine neue Technik entwickelt: Die Echtzeit-Verformungs­zytometrie (real-time deformability cytometry, RT-DC). Dabei wird eine Zelllösung durch einen transparenten Kanal von weniger als dem Durchmesser eines Haares gedrückt. Die Zellen werden dabei unbeschadet in die Länge gezogen und der Grad der Verformung lässt eine Zuordnung zu einem bestimmten Zelltyp zu. 

Die Zuordnung der Zelltypen erfolgt mit Hilfe der Aufnahmen einer Highspeed-Kamera, die die verformten Zellen im Kanal mit 2000 bis 4000 Bildern pro Sekunde aufnimmt. Die Bilder werden mit einer speziellen Software ausgewertet, die bestimmte, vorher definierte Zelleigenschaften in Echtzeit auswertet. Diese Echtzeit-Auswertung, bei der jede Zelle sofort in dem Moment, in dem sie durch den Kanal fließt, identifiziert wird, ist jetzt die Basis für die erste Neuheit. Denn sie ermöglicht es, die Zellen nach der Identifizierung gezielt in einen Sammel­kanal abzulenken. So können Zellen jetzt erstmals auch aufgrund ihrer Verform­barkeit sortiert werden.

Eine weitere Neuheit liegt darin, RT-DC mit künstlicher Intelligenz zu kombinieren: Hundert­tausende Bilder von einzelnen Zellen sind eine ideale Basis, um ein neuronales Netzwerk darauf zu trainieren, verschiedene Zelltypen zu erkennen. In bisher nicht erreichter Geschwindigkeit kann der KI-Algorithmus dann Zellen identifizieren und ebenfalls in Echtzeit nach Wunsch sortieren. 

Guck vergleicht diesen Ansatz mit der Stärke von Google: „Wenn Katzen­besitzer im Internet Millionen von Katzenfotos posten und dazu etwas schreiben wie ‚meine Katze‘, wird der Such­algorithmus anhand des Bilds und des Kommentars darauf trainiert, die Eigenschaften zu erkennen, die eine Katze ausmachen.“

Ähnlich verhält es sich mit der neuen Methode der Forschergruppe um Guck: Die Fluoreszenz­moleküle werden so ausgewählt, dass sie nur an bestimmte Zellen andocken. Das Foto der Zelle mit all ihren Eigenschaften entspricht dem Katzen­bild. So lernt das neuronale Netzwerk, dass ein Aufleuchten mit einem bestimmten Zelltyp verbunden ist und kann eine Verbindung zum dazu­gehörigen Foto der Zelle herstellen. Wurde das neuronale Netzwerk durch den Fluoreszenz­marker ausreichend auf einen Zelltyp trainiert, kann der Marker schließlich ganz weggelassen werden und der Zelltyp wird auch ohne Fluoreszenz erkannt. 

Diese neue Methode hat viele Vorteile: So fällt nach dem Training des neuronalen Netzwerks die zeit- und kosten­intensive Floureszenz-Markierung zur Identifizierung weg und die Zellen werden nicht mehr durch körperfremde Moleküle verändert. Dann reichen die von der Highspeed-Kamera geschossenen Bilder aus, um die Zellen zu identifizieren. Dieses Vorgehen ist sehr zellschonend, verändert die Zelleigenschaften nicht und kann bis zu 1000 Zellen pro Sekunde analysieren. Die Anwendung von künstlicher Intelligenz auf RT-DC bietet außerdem die Erleichterung, dass die Parameter, anhand derer die Zell­erkennung oder eine Zell­veränderung durch beispielsweise Krankheiten festgemacht werden kann, nicht vorher definiert werden müssen. Man kann die KI selbst entscheiden lassen, anhand welcher Bildinformation Zellen am besten unterschieden werden können. 

Guck nennt die neu entwickelte Methode einen „ultimativen Zellsortierer“: Sie vereint die Genauigkeit der etablierten Erkennung über Fluoreszenz mit der Sensitivität der inhärenten mechanischen Zell­eigenschaften und hat das Potential, als zukünftige Standard­methode Einzug in alle biologischen und biomedizinschen Labore zu halten. In Zukunft lassen sich damit beispielsweise schnell, unbeschadet und unverändert blutbildende Stamm­zellen aus einer Probe gewinnen, die dann einem Chemo­therapie-Patienten zum Wiederaufbau des Immun­systems injiziert werden können oder besonders geeignete Photo­rezeptor­zellen aus humanen Organoiden heraus­sortieren, um damit durch Transplantation manche Formen der Blindheit abzuwenden. 

MPL / DE
 

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