11.03.2019

Wie Zellen sich durch Lücken schlängeln

Wanderung von Zellen in räumlich begrenzten Umgebungen experimentell und theoretisch bestimmt.

Im menschlichen Körper ist ständig ein Teil der Zellen auf Wanderschaft. Besonders mobil sind Immun- und Krebs­zellen, die auf ihren Wegen zahlreiche Hindernisse wie dichtes Gewebe passieren. Unter der Leitung von Chase Broedersz und Joachim Rädler haben Forscher für theoretische und experimentelle Biophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München ein datenbasiertes Modell entwickelt, um die Wanderung von Zellen in räumlich begrenzten Umgebungen zu untersuchen.

Abb.: Mikroskopische Aufnahme einer Brust­krebs­zelle, die eine künstliche...
Abb.: Mikroskopische Aufnahme einer Brust­krebs­zelle, die eine künstliche Engstelle passiert. (Bild: LMU)

Ihre Idee war es, eine bewegliche Zelle in einer künstlichen, räumlich begrenzten Umgebung im Mikrometer-Maßstab zu beobachten. Der Versuchs­aufbau besteht aus zwei Inseln, jeweils etwas größer als eine Zelle und verbunden mit einer schmalen Brücke. Sie sind mit einem Protein überzogen, an das die Zelle adhärieren und sich so darauf bewegen kann, während ihr dies in der Umgebung nicht möglich ist. Durch die Engstelle der Brücke zwängt sich die Zelle aus eigenem Antrieb, um zur anderen Insel zu gelangen.

Mit einem Zeitraffer-Mikroskop verfolgten die Wissenschaftler die Bewegung: Dabei entdeckten sie, dass Brust­krebs­zellen pausenlos zwischen den Inseln hin- und herpendeln. Durch die Beobachtung hunderter Zellen konnten die Biophysiker Rückschlüsse auf die Dynamik ziehen, mit der Zellen solche physikalischen Barrieren überwinden. Entscheidend für den Erfolg der Studie, so sagt Joachim Rädler, war die enge Zusammen­arbeit zwischen Theorie und Praxis. „Wir haben darauf geachtet, den Versuchs­aufbau so einfach und kontrollierbar wie möglich zu gestalten. Das ermöglicht es uns, mit einem Big-Data-Ansatz zu arbeiten.“

Hinter dem theoretischen Modell der Biophysiker steht eine Bewegungs­gleichung, mit der sich viele physikalische Systeme beschreiben lassen wie etwa das Kreisen der Planeten um die Sonne. Zellen sind jedoch viel kleiner und ihre Bewegungen werden stärker durch intrinsische Fluktuationen beeinflusst. „Mit unserem Modell ist es uns gelungen, den deterministischen und den unvorhersehbaren Teil der Bewegung, die Fluktuationen, getrennt zu berechnen.“, erklärt Chase Broedersz. „Nur so können wir verstehen, wie Zellen trotz der zufälligen Fluktuationen Bewegungen verlässlich ausführen können.“

Nachdem die Wissenschaftler die Fluktuationen heraus­gefiltert hatten, entdeckten sie, dass Brust­krebs­zellen und gesunde Brustzellen unter­schiedliche Bewegungs­muster aufweisen. „Die Kombination des speziellen Versuchs­aufbaus mit dem datenbasierten Ansatz bringt die charakteristischen Eigenschaften der Zelle zum Vorschein“, sagt David Brückner, Erstautor der Studie. „Damit lässt sich eine Art ‚Bewegungs-Fingerabdruck‘ erstellen, mit dem man verschiedene Zelltypen unterscheiden kann.“

Chase Broedersz fasst die Ergebnisse zusammen: „Unser Ansatz beschreibt Zellbewegung in begrenzten Systemen mit Hilfe dynamischer System­theorie und zeigt, wie die Zellen sich an ihre Umgebung anpassen. Potentielle Anwendungen liegen in der quantitativen Beurteilung von Zellverhalten auch in komplexeren biologischen Umgebungen.“ LMU / DE

 

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