26.02.2021

Wie Krebszellen sich durchquetschen

Bewegliche Krebszellen können sich verflüssigen und durch Gewebe wandern.

Wissenschaftlern der Universität Leipzig ist in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Deutschland und den USA ein Durchbruch in der Forschung zur Verbreitung von Krebs­zellen gelungen. Die Biophysiker um Josef Alfons Käs, Steffen Grosser und Jürgen Lippoldt konnten in Experimenten erstmals nachweisen, wie sich Zellen verformen, um sich in dichten Tumor­geweben zu bewegen und sich zwischen ihren Nachbarzellen durch­zuquetschen. Die Forscher stellten fest, dass bewegliche Zellen gemeinsam das Tumorgewebe verflüssigen. Käs hat das Forschungs­projekt in Kooperation mit Lisa Manning von der Universität Syracuse (USA) und Bahriye Aktas vom Universitäts­klinikum Leipzig geleitet.
 

Abb.: Aktin- und DNA-Färbung verraten die Struktur von 3D-Tumorclustern....
Abb.: Aktin- und DNA-Färbung verraten die Struktur von 3D-Tumorclustern. Zellformen in Krebstumoren zeigen an, ob die Zellen beweglich sind. (Bild: S. Grosser / U. Leipzig)

„Diese ersten Beobachtungen eines Phasen­übergangs bei menschlichen Tumoren verändern unsere grund­legenden Konzepte der Tumor­progression und könnten die Krebsdiagnose und -therapie verbessern“, sagt Käs, der sich seit Jahren mit den physikalischen Eigenschaften von Krebs­zellen beschäftigt. Die Forschungen hätten gezeigt, dass menschliche Tumoren feste und flüssige Zellcluster enthalten, was einen Durchbruch beim Verständnis der Tumor­mechanik darstellt. Die Resultate bildeten die Grundlage für das erste Verfahren, mit dem sich metastasierende Krebs­zellen bereits im Tumor nachweisen lassen.

In Tumorproben von Patienten der Uniklinik fanden die Wissenschaftler Regionen mit beweglichen Zellen sowie stabile, feststoff­artige Regionen ohne Zellbewegung. Aus physikalischer Sicht sollten sich Zellen nicht in der dichten Tumor­masse bewegen können – Tumore sind so dicht mit Zellen überfüllt, dass in jedem klassischen Material die Bewegung angehalten werden würde. 

Die Forscher entwickelten daher einen neuen Ansatz in der Lebend­mikroskopie von Tumoren, indem sie menschliche Tumorproben direkt nach der Operation fluoreszent färbten und so Zellbewegungen live beobachten konnten. So fanden sie heraus, dass diese Zellbewegung entgegen allen bisherigen Erkenntnissen doch stattfindet und mit starken Kern­deformationen verbunden ist. Sie beobachteten, wie sich Zellen und ihre Kerne buchstäblich durch das Gewebe quetschen, indem sie sich stark deformieren.

„Zellen in biologischen Geweben verhalten sich ähnlich wie Menschen in einer Bar. Bei geringen Dichten können sie sich frei bewegen. Wenn es jedoch sehr voll ist, wird jede Bewegung schwierig. Aber selbst in einer überfüllten Bar können Sie sich immer noch durchdrücken, wenn Sie sich seitwärts drehen. Genau diesen Effekt sehen wir in Tumor­geweben“, erklärt Käs. Die Forscher glauben, dass dieser Flüssigkeits­übergang erklärt, wie sich Zellen in einem Tumor bewegen und vermehren können, was schließlich zu Metastasen führt. Die flüssigen Gewebe waren mit länglichen, deformierten Zellen und Kernen angereichert. Statische Bilder von länglichen Zell- und Kern­formen könnten somit als Fingerabdruck für die metastatische Aggressivität eines Tumors dienen. 

„Dies sind spektakuläre Ergebnisse aus dem Bereich der Krebs-Physik. Wir müssen jetzt untersuchen, ob die flüssigen Regionen die Tumor­aggressivität vorhersagen können. Hier haben wir einen Krebs-Marker gefunden, der aktive, bewegliche Regionen anzeigt und der auf einem einfachen physikalischen Mechanismus beruht“, sagt Steffen Grosser. Derzeit leitet Käs eine klinische Studie ein, um das Potenzial der Zell- und Kernform als neuen Tumor­marker zu untersuchen, mit dem Patienten viel gezielter als bisher untersucht und behandelt werden könnten. 

U. Leipzig / DE
 

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