13.08.2019

Virtueller Blindenstock

Radarsystem erfasst das Umfeld und warnt akustisch vor Hindernissen.

Im nahen Umfeld bietet der Blindenstock Informationen über die Umwelt, aber wo in einiger Entfernung der Durchgang zwischen Häuser­fronten ist, zeigt er nicht. Das leisten nun radar­gestützte Systeme, die das Konsortium des Projekts Ravis-3D entwickelt hat. Die Systeme, die intuitiv benutzbar sind, erfassen die Umgebung und setzen sie in Audiosignale um, die über ein halb­offenes Hörgerät ausgegeben werden. Drei Lehrstühle der Ruhr-Universität Bochum sowie mehrere Industrie­partner haben das dreijährige Projekt abgeschlossen, das von der Euro­päischen Union und dem Land Nordrhein-Westfalen gefördert wurde.

Abb.: Mit Radar verfasst der „virtuelle Blinden­stock“ seine Umgebung....
Abb.: Mit Radar verfasst der „virtuelle Blinden­stock“ seine Umgebung. Sein Nutzer wird akustisch vor Hinder­nissen gewarnt. (Bild: Kramer, RUB)

Das Konsortium machte sich zunächst daran, das technisch Machbare zu entwickeln. So bauten sie unterschiedliche Radar­systeme, die von rotierenden 360-Grad-Sensoren über spezielle Antennen, welche das Gesichts­feld des Nutzers erfassen, bis hin zu gerichteten Sensoren reichten, die die Entfernung eines Fokuspunkts messen. Auch für die Audioausgabe der Umgebung griffen die Forscher in die Trickkiste: Beispielsw­eise analysierte das System die Geräusch­umgebung und blendete dann die Hinder­nisse aus, die selbst Töne von sich geben.

„Akustisch aktive Hindernisse, wie etwa ein sprechender Mensch, sollte das System nicht als Hindernis begreifen, da der Nutzer sie ja ohnehin schon wahrnimmt“, erläutert Rainer Martin vom Lehrstuhl für Kommunikations­akustik. Durch Vermessungen des individuellen Hörvermögens von Nutzern wurde die räumliche Ortung von Quellen weiter verbessert. „Damit wollten wir erreichen, dass sich die Vertonung von realen Hinder­nissen beziehungs­weise Navigations­hinweisen möglichst akkurat in die natürliche akustische Wahrnehmung der Nutzer eingliedert“, sagt Entwickler Gerald Enzner. Das Forscherteam entwickelte für das Projekt unter­schiedliche Sensoren und Systeme und testete sie gemeinsam mit Betroffenen. „Das Erstaunliche war, dass es vor allem die einfachen, intuitiven Systeme waren, die das positivste Nutzer-Feedback ergaben“, sagt Nils Pohl, Inhaber des Lehrstuhls für Integrierte Systeme.

Das wiederum interessierte die am Projekt beteiligten Firmen Kampmann Hörsysteme und „Sensor­basierte Neuronal Adaptive Prothetik“, kurz Snap, besonders. Ihre Aufgabe war es, die Systeme mit Betroffenen zu testen sowie Hörgeräte zur Audio­ausgabe zu integrieren. Dabei hat sich vor allem ein System positiv hervorgetan: Ein relativ einfaches Sensor­system, das man wie eine Taschenlampe in eine Richtung halten kann, um die Entfernung zum nächsten Hindernis als Ton ausgegeben zu bekommen. „In Verbindung mit der Audio­ausgabe über Hörgeräte ergibt sich damit ein intuitiv zu bedienender virtueller Blinden­stock, der in größerer Reichweite funktioniert“, erläutert Corinna Weber von der Firma Snap.

Die Mitglieder des Konsortiums sind sicher, dass die Ergebnisse von Ravis-3D ein großes Vermarktungs­potenzial haben. „Ein solches System ist bisher am Markt noch nicht vorhanden“, sagt Dirk Kampmann von der Firma Kampmann Hörsysteme, die das Konsortium leitet. „Wir müssen nun daran arbeiten, dass die Komponenten kleiner und günstiger werden und dass das System sich in weitere IT-basierte Blinden­hilfsmittel zum Beispiel auf dem Smartphone gut eingliedert. Wenn das gelingt, können wir den Markt an Blinden­hilfsmitteln in den kommenden Jahren bereichern.“

RUB / JOL

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