16.07.2020 • Energie

Verbesserte Prüfverfahren für Lithium-Ionen-Zellen

Neue Standards für mehr Sicherheit und mehr Flexibilität im Batteriedesign.

Die Entwicklung innovativer Batterie­systeme setzt verlässliche Sicherheits­prüfungen der verwendeten Lithium-Ionen-Zellen unter Real­bedingungen voraus. An der Entwicklung verbesserter Standards, die für mehr Sicherheit, aber auch für mehr Flexibilität im Batterie­design sorgen sollen, arbeitet das Karlsruher Institut für Technologie im Forschungs­projekt ProLIB jetzt gemeinsam mit Prüf- und Normungs­instituten sowie mit Partnern aus der Industrie. Das Bundes­ministerium für Wirtschaft und Energie fördert diese Forschung mit mehr als 1,2 Millionen Euro.

Abb.: Die am KIT entwickelte temperierbare und mit Sensorik ausgestattete...
Abb.: Die am KIT entwickelte temperierbare und mit Sensorik ausgestattete Sicherheitseinhausung für das Prüfen von Lithium-Ionen-Zellen unter kritischen Bedingungen. (Bild: A. Bramsiepe, KIT)

Wer sich nicht daran erinnert, wann er das letzte Mal sein Notebook von einem Nagel durchbohrt vor­ge­funden hat, dem sei versichert: So etwas geschieht eher selten. Doch genau das ist ein heute übliches Vorgehen bei Sicherheits­prüfungen für Lithium-Ionen-Batterien. „Um bestimmte Tests durch­zu­führen, müssen die Zellen zunächst massiv misshandelt werden“, sagt Anna Smith vom Institut für angewandte Materialien des KIT. „Ziel der Anstrengungen ist es, angenommene Worst-Case-Defekte im Inneren der Zellen auszulösen, um deren Verlauf in der Batterie zu beobachten.“ Neben dem Durch­bohren mit Nägeln sei es etwa auch üblich, Zellen extrem zu überladen oder zu überhitzen.

Die bei solchen Methoden entstehende Diskrepanz zwischen Prüfverfahren und einer realis­tischen Beanspruchung bleibt nicht folgenlos. Tatsächliche Fehler­verläufe sind nicht Gegen­stand der Unter­suchung und so bleiben Herstellungs­fehler von qualitativ minder­wertigen Zellen und deren Risiken unerkannt, während eigentlich sichere Zellen benach­teiligt werden. „Wenn Batterie­systeme unabhängig von Ihrer Zell­qualität für realitäts­ferne Worst-Case-Szenarien ausgelegt werden, dann macht sie das nicht sicherer, sondern voluminöser, schwerer, weniger nach­haltig und auch teurer als notwendig“, so Smith. Ihr Team am Batterie­technikum des KIT arbeitet deshalb gemeinsam mit Verbund­partnern an realitäts­näheren Sicherheits­normen und -tests.

Grundsätzlich ist die Sorge vor gefährlichen Defekten in Lithium-Ionen-Zellen nicht unbegründet. So können sich Dendriten, spitze Lithium­ablagerungen, an der Anode bilden. Die Wahr­schein­lich­keit, dass diese dann Kurz­schlüsse auslösen und dann eine exotherme Reaktion mit starker, sich selbst beschleuni­gender Wärme­ent­wick­lung („Thermal Runaway“) herbei­führen, ist besonders in Zellen gegeben, die qualitativ nieder­wertige Zell­kompo­nenten beinhalten. Durch Ausbreitung dieses Fehlers auf benach­barte Zellen folgen im schlimmsten Fall eine Ketten­reaktion sowie ein Brand der Batterie. Und jede Steigerung der Energie­dichte, um beispiels­weise die Reich­weite eines voll­elektrischen Fahrzeuges zu erweitern oder die Nach­haltig­keit durch weniger Rohstoff­einsatz zu verbessern, wird durch zu grobe Test­ver­fahren erschwert. „Die Wider­stands­fähigkeit der Lithium-Ionen-Zelle gegen wirklich gefährliche Defekte, die etwa aufgrund des Zell­aufbaus oder der Zell­kompo­nenten je nach Hersteller stark variieren kann, steht viel zu wenig im Mittel­punkt. Vom Thermal Runaway auszu­gehen ist, als würde man die Sicherheit eines Feuerzeugs ausschließ­lich an dessen Explosions­verhalten bemessen“, so Smith.

Zurzeit wird weltweit an der Verbesserung von Propagations­tests geforscht. In anderen Forschungs­projekten liegt der Schwerpunkt allerdings darauf, einen Thermal Runaway reproduzier­barer auszulösen – unabhängig davon, ob eine Zelle ihn in der Praxis tatsächlich eingehen würde. ProLIB ist das bislang einzige Forschungs­projekt, in dem realitäts­nahe und zell­spezi­fische Fehler erforscht werden. Dabei soll nun ein verbessertes Test­verfahren für neue Normen zu Lithium-Ionen-Batterien in stationären und mobilen Anwendungen ausge­arbeitet werden, um so die bestehenden Lücken in der Normung bezüglich realis­tischen Bewertungs­kriterien für Sicherheit und Qualität von Lithium-Ionen-Batterien zu schließen. Die neuen Standards sollen einen faireren Wettbewerb ermöglichen, zur Senkung von Rohstoff­einsatz, Entwicklungs- und Produkt­kosten durch Vermeidung von Über­aus­legung beitragen und die Sicherheit im Betrieb von Lithium-Ionen-Batterie erhöhen.

KIT / RK

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