02.11.2009

Tumore unter schwerem Beschuss

Heute wird das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum HIT feierlich eröffnet.


Physik Journal - Mit Protonen- und Schwerionenstrahlen wollen Heidelberger Mediziner künftig Tumore gezielt behandeln, die tief im Körper des Patienten bzw. neben wichtigen Organen liegen.

Schwere Geschütze fahren Heidelberger Mediziner künftig im Kampf gegen Krebs auf: Nach monatelangen Verzögerungen startet nun am Heidelberger Universitätsklinikum das Ionenstrahl-Therapiezentrum HIT, bei dem Protonen- oder Schwerionenstrahlen Tumoren gezielt zu Leibe rücken sollen. Dafür kommen vor allem solche infrage, die tief im Körper eines Patienten sitzen oder neben wichtigen Organen liegen (z. B. Hirntumore) und daher herkömmlichen Bestrahlungstechniken mit hochenergetischen Photonen nicht zugänglich sind. Vier Partner haben seit 1993 eng zusammengearbeitet, um die 120 Millionen Euro teure Anlage zu realisieren: die Universitätsklinik für Radioonkologie und Strahlentherapie Heidelberg, die Gesellschaft für Schwerionenforschung Darmstadt (GSI), das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg und das Forschungszentrum Rossendorf bei Dresden.

Eigentlich sollte das HIT bereits im letzten Jahr in Betrieb gehen, doch das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten funktionierte nicht. „Wir haben mit dem gleichen Problem gekämpft wie der A380“, vergleicht Jürgen Debus, ärztlicher Direktor der Abteilung Radioonkologie und Strahlentherapie am Universitätsklinikum Heidelberg. „So wie man bei einem großen Flugzeug nicht alles komplett modellieren kann, sind auch wir darauf angewiesen, die Anlage in Echtzeit zu betreiben, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sie funktioniert.“ Doch nun beginnt in zwei der vier Behandlungsräume die Arbeit, ein dritter ist für die Forschung vorgesehen, und der vierte wird erst im Laufe des kommenden Jahres für Bestrahlungen bereitstehen. Die ersten Patienten sind bereits ausgewählt. Wie viele sich in Heidelberg noch in diesem Jahr einer Strahlentherapie unterziehen können, ist unklar. „Wir müssen abwarten, wie gut das Gerät läuft. Aber eine zweistellige Zahl wird es sicherlich sein“, meint Debus. Künftig sollen es rund 1300 Patienten pro Jahr sein.


Abb.: Für die Ionenstrahltherapie eines Hirntumors ist es nötig, den Patienten mit einer Kopfmaske zu fixieren, damit sich der Tumor millimetergenau treffen lässt. (Bild: Universitätsklinikum Heidelberg, Medienzentrum)

Schon in den 70er-Jahren begannen Wissenschaftler der GSI, schwere Ionen für die Tumortherapie zu erforschen. Vor mehr als zehn Jahren konnten sie damit die ersten Patienten behandeln. Während Röntgen- oder Gammastrahlen auf dem Weg zum Tumor im Gewebe schnell an Energie verlieren, gibt ein Ionenstrahl erst am Ende seiner Reichweite (Bragg-Peak) den Großteil seiner Energie ab. Dadurch lassen sich mit Ionen Tumore gezielt bestrahlen, während das umliegende Gewebe weitgehend verschont bleibt. Zudem dringen Ionen je nach Geschwindigkeit bis zu 30 cm in den Körper eines Patienten ein und erreichen somit auch tief liegende Tumore. Sie beschädigen das Erbgut in den Krebszellen, sodass diese sich nicht mehr teilen können und absterben. Ein weiterer Vorteil ist, dass Ionenstrahlen sich mit Magnetfeldern ablenken lassen. „Damit kann man im Prinzip beliebig geformte Volumina gezielt bestrahlen“, erklärt Jürgen Debus. Am HIT werden die Ionen zunächst in einem fünf Meter langen Linearbeschleuniger auf mehr als ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit gebracht, im anschließenden Synchrotron erreichen sie rund 75 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. In Vakuumröhren gelangt der Strahl zu den einzelnen Behandlungsplätzen. In zwei Räumen schießt er horizontal aus einem Fenster auf den Patienten. Auf diese Weise lassen sich z. B. Hirntumore gut erreichen. „Liegt der Tumor aber in der Lunge, im Bauch oder an der Wirbelsäule, ist der Weg für den Strahl kürzer, wenn er von oben kommt“, beschreibt Jürgen Debus. Dies ist möglich dank einer sog. Gantry. Diese weltweit einzigartige aufwändige Konstruktion ist drei Stockwerke hoch und wiegt 600 Tonnen. Die riesigen Magnete lenken den Ionenstrahl mit einer Genauigkeit von einem halben Millimeter unter beliebigen Winkeln auf den Tumor.

Vor der Bestrahlung ermitteln die Mediziner mittels der Computer- oder der Magnetresonanz-Tomografie die genaue Lage und Struktur des Tumors. Im Rasterscan-Verfahren, das in Heidelberg zum Einsatz kommt, wird der Tumor in millimeterdünne Scheiben unterteilt und jede Scheibe wiederum mit einem Punktraster versehen. Für jeden einzelnen Punkt lässt sich dann exakt die erforderliche Strahlendosis berechnen. Eine Bestrahlung nimmt etwa 20 Minuten in Anspruch, wobei der Großteil der Zeit nötig ist, um den Patienten genau zu positionieren und zu fixieren. Die Bestrahlung selbst dauert nur zwischen einer und fünf Minuten. Die Patienten kommen mehrere Tage hintereinander täglich zur Bestrahlung, ein durchschnittlicher Zyklus besteht aus 15 Tagen. Um sicher zu gehen, dass der Ionenstrahl genau den Tumor trifft, röntgen die Mediziner den Patienten und vergleichen das Röntgenbild mit den zuvor gemachten CT- oder MRT-Bildern. Anhand der Knochenstrukturen lässt sich die korrekte Lage des Patienten beurteilen. „Beim Röntgen sind aber nur geringe Dosen erforderlich, die in der gleichen Größenordnung liegen wie bei einem transatlantischen Flug“, beruhigt Jürgen Debus.

Die Kosten für eine Bestrahlung am HIT betragen rund 20 000 Euro pro Patient und sind damit dreimal höher als bei der herkömmlichen Bestrahlung. „Verglichen mit anderen medizinischen Verfahren liegen wir aber im unteren Bereich“, sagt Debus. „Bestimmte Medikamente in der Tumortherapie kosten 50 000 Euro.“ Die Kosten für die Bestrahlung übernehmen die Krankenkassen, auch die gesetzlichen.
 

In Heidelberg ist alles vorbereitet: Probebestrahlungen haben unter Beweis gestellt, dass die Anlage funktioniert und sich Patienten dort bedenkenlos in Behandlung begeben können. „Wir haben Sicherheitsvorschriften wie in der Luftfahrtindustrie: Selbst wenn drei Computer ausfallen, gibt es noch einen vierten, der das System überwacht“, erklärt Debus. „Die ersten Patienten können also kommen.“
 

Maike Pfalz

Weitere Infos

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