13.01.2021 • Kernphysik

Simulierte Nuklidkarte

Vorhersage der Eigenschaften von fast 700 Isotopen zwischen Helium und Eisen.

Atomkerne werden durch die starke Wechselwirkung zwischen Neutronen und Protonen zusammen­gehalten. Etwa zehn Prozent der bekannten Atomkerne sind stabil. Ausgehend von diesen stabilen Isotopen werden Kerne durch Hinzufügen oder Entfernen von Neutronen immer instabiler, bis Neutronen sich nicht mehr an den Kern binden können und „heraustropfen“. Diese Grenze der Existenz, die Neutronen-Dripline, wurde experimentell bislang nur für leichte Elemente bis Neon entdeckt. Das Verständnis der Neutronen-Dripline und der Struktur neutronen­reicher Kerne spielt auch eine zentrale Rolle für das Forschungs­programm der zukünftigen Beschleuniger­anlage FAIR am GSI Helmholz­zentrum für Schwerionen­forschung in Darmstadt.

Abb.: Achim Schwenk von der TU Darmstadt gelang es gemeinsam mit Kollegen die...
Abb.: Achim Schwenk von der TU Darmstadt gelang es gemeinsam mit Kollegen die Grenzen von Atomkernen mit Hilfe theo­retischer Methoden bis zu mittel­schweren Kernen zu berechnen. (Bild: C. Völker, TU Darmstadt)

Nun gelang es Achim Schwenk von der TU Darmstadt, der auch Max Planck Fellow am MPI für Kernphysik in Heidelberg ist, gemeinsam mit Wissen­schaftlern der University of Washington, des TRIUMF und der Universität Mainz, die Grenzen von Atomkernen mit Hilfe innovativer theoretischer Methoden bis zu mittel­schweren Kernen zu berechnen. Die Ergebnisse sind eine Fundgrube an Informationen über mögliche neue Isotope und liefern einen Fahrplan für Kernphysiker, um diese zu verifizieren. 

Die neue Arbeit ist nicht der erste Versuch, den extrem neutronen­reichen Bereich der Kern­landschaft theoretisch zu erforschen. Frühere Unter­suchungen nutzten die Dichtefunktional­theorie, um gebundene Isotope zwischen Helium und den schweren Elementen vorherzusagen. Schwenk und seine Kollegen hingegen erstellten nun erstmals die Nuklidkarte auf der Basis der ab initio Kerntheorie. Ausgehend von mikro­skopischen Zwei- und Drei-Teilchen-Wechsel­wirkungen lösten sie die Vielteilchen-Schrödinger-Gleichung, um die Eigen­schaften von Atomkernen von Helium bis Eisen zu simulieren. Dies gelang durch die Verwendung einer neuen ab initio Vielteilchen-Methode – der In-Medium Similarity Renorma­lization Group –, kombiniert mit einer Erweiterung, welche teilweise gefüllte Orbitale behandeln kann, um alle Kerne zuverlässig zu bestimmen.

Abb.: Globale ab initio Berech­nungen von Helium bis Eisen. Der graue Bereich...
Abb.: Globale ab initio Berech­nungen von Helium bis Eisen. Der graue Bereich zeigt alle 700 berechneten Atomkerne, während die Farbe und Höhe für jedes Isotop mit Neutronen­zahl N und Protonen­zahl Z der Wahrschein­lichkeit entspricht, dass dieses gebunden ist. (Bild: Schwenk et al., TU Darmstadt)

Ausgehend von Zwei- und Drei-Nukleonen-Wechsel­wirkungen basierend auf der starken Wechselwirkung, der Quanten­chromodynamik, berechneten die Forscher die Grundzustands­energien von fast 700 Isotopen. Die Ergebnisse stimmen mit früheren Messungen überein und dienen als Grundlage für die Bestimmung der Lage der Neutronen- und Protonen-Dripline. Durch Vergleiche mit experimentellen Massen­messungen und eine statistische Analyse konnten auch theoretische Unsicher­heiten für die Vorhersagen bestimmt werden, etwa für die Separations­energien der Atomkerne und so auch für die Wahrschein­lichkeit, dass ein Isotop gebunden ist oder nicht existiert.

Die neue Studie ist ein Meilenstein im Verständnis, wie die Nuklidkarte und Kern­struktur aus der starken Wechselwirkung entstehen. Dies ist eine Schlüsselfrage des DFG-geförderten Sonder­forschungs­bereichs 1245 „Atomkerne: Von funda­mentalen Wechselwirkungen zu Struktur und Sternen“ an der TU Darmstadt, im Rahmen dessen die Forschungs­arbeit entstand. Als nächstes wollen die Wissenschaftler ihre Berechnungen auf schwerere Elemente ausweiten, um den Input für die Simu­lation der Synthese schwerer Elemente voran­zutreiben. Diese verläuft in neutronenreichen Umgebungen in Richtung der Neutronen-Dripline und findet in der Natur beim Verschmelzen von Neutronen­sternen oder in extremen Supernovae statt.

TU Darmstadt / JOL

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