26.07.2021

Schneller sprinten

Biophysikalisches Modell erklärt das maximale Lauftempo von Tieren.

Eine inter­disziplinäre Gruppe von Wissen­schaftlern der Universitäten in Koblenz, Köln, Tübingen und Stuttgart hat ein physikalisches Modell auf Basis einer wissen­schaftlichen Studie entwickelt, um zu erforschen, von welchen Eigenschaften die maximale Laufge­schwindigkeit bei Tieren abhängig ist. Dabei konnten Mathematiker der Universität in Koblenz Modell­rechnungen am Computer optimieren und berechnen, wie lang zum Beispiel ein Bein sein und in welchem Winkel es zu Boden anstehen müsste, damit das Tier seine maximale Laufge­schwindigkeit erreichen kann. Zudem können sie bestimmen, welche Effekte eine leichte Veränderung der Beinlänge oder des Anstell­winkels, zum Beispiel durch genetische Veränderungen, auf die maximale Laufgeschwin­digkeit haben kann.

Abb.: Ein biophysi­kalisches Modell erklärt die Lauf­geschwin­digkeit von...
Abb.: Ein biophysi­kalisches Modell erklärt die Lauf­geschwin­digkeit von Tieren. (Bild: R. Rockenfeller, U. Koblenz-Landau / Colourbox)

Viele vierbeinige Säugetiere können erheblich höhere Laufgeschwin­digkeiten erreichen als der zweibeinige Mensch. Perfekt an den Sprint angepasste Tiere, wie Geparden oder Antilopen, zeichnen sich durch eine schlanke Körperform, lange Beine sowie eine besonders bewegliche Wirbelsäule aus, um sehr hohe Geschwindig­keiten beim Laufen zu erreichen. Menschliche Spitzensprinter können Laufgeschwindigkeiten von fast 45 Stunden­kilometern erreichen. Dies entspricht etwa der Höchst­geschwindigkeit einer Hauskatze. Geparden erreichen etwa 100 Kilometern pro Stunde als Spitzen­geschwindigkeit und Antilopen immerhin noch neunzig Kilometern pro Stunde. Selbst Warzen­schweine und Hasen würden mit knapp sechzig Kilometern pro Stunde menschliche Sprinter abhängen. 

„Wir konnten wider­legen, dass eine Ermüdung der Muskulatur für die Limitierung der Geschwindigkeit bei großen Tieren verant­wortlich ist. Dafür haben wir die Energie­bereitstellung des Stoffwechsels nachgerechnet bzw. abgeschätzt. Dass große Tiere langsamer sind, liegt also nicht an fehlender Bereit­stellung von Energie ihres Organismus, sondern an der Trägheit ihrer eigenen Masse,“ erläutert Robert Rockenfeller von der Universität in Koblenz. 

Ein Forschungs­team unter Leitung von Michael Günther von der Universität Stuttgart hat untersucht, von welchen physikalischen und bio­logischen Faktoren die Höchst­geschwindigkeit der Tiere abhängt. Kern ihrer theoretischen Arbeit sind das physikalische Gleich­gewicht von vorwärts­treibender Beinkraft und zu überwindendem Luft­widerstand sowie die Massenträgheit der antreibenden Musku­latur. Dabei zeigen sie eine Art Hauptweg für die Änderung der Bauform von Tierkörpern in Abhängigkeit von der Körper­größe, in Anpassung an schnelle beingetriebene Fort­bewegung auf. „Dieser Hauptweg beschreibt, wie sich in Abhängigkeit von der Körpergröße die Gestalt eines Organismus ändern muss, um eine hohe Laufgeschwin­digkeit zu erreichen und wie sich diese Gestaltänderung auf die erreichbare Höchst­geschwindigkeit auswirkt“, sagt Tom Weihmann vom Zoologischen Institut der Univer­sität zu Köln.

Das klassische Beispiel sind die Maus und der Elefant. Eine elefanten­große Maus wäre schlicht nicht lebensfähig, weil ihre Knochen unter dem eigenen Gewicht brechen würden. Elefanten haben entsprechend relativ zum Gewicht viel dickere und schwerere Knochen sowie deutlich gestrecktere Beine. Diese ermöglichen die enorme Größe der Tiere. Die schweren Knochen und geraden Beine begrenzen aber die Höchst­geschwindigkeit, die deutlich niedriger ist als die von Geparden, obwohl Elefantenbeine viel länger sind. Die Höchst­geschwindigkeiten hängen aber nicht nur von der Größe, sondern auch von der Konstruktion der Tiere ab, wie zum Beispiel von der Anzahl der Beine und der Beweglichkeit der Wirbelsäule. So sind viele vierbeinige Säugetiere in der Lage, viel höhere Laufgeschwin­digkeiten zu erreichen als zweibeinige Entwürfe wie Menschen und Vögel, weil sie galoppieren und dabei ihre Rumpf­muskulatur für den Vortrieb nutzen können. Werden die Tiere zu schwer, helfen allerdings auch kräftigere Muskeln nicht mehr weiter, da größere Muskeln mehr Zeit benötigen, um sich mit höchster Geschwin­digkeit zusammen zu ziehen. Entsprechend liegt die Gewichtsgrenze, ab der die Sprint­geschwindig­keiten wieder abnehmen, bei etwa fünfzig Kilogramm, also dem mittleren Gewicht von Geparden und Gabelböcken, den schnellsten Sprintern auf unserem Planeten.

Das Modell lässt sich sogar auf Fantasiewesen anwenden. So würde die Riesenspinne Kankra aus Tolkiens „Herr der Ringe“ eine Spitzen­geschwindigkeit von etwa sechzig Kilometern pro Stunde erreichen. Bezogen auf die menschliche Körpergeometrie zeigt das Modell, dass Spitzen­sprinter im Sport schon sehr nah an ihrem Geschwin­digkeits­optimum sind. Abgesehen von technischen Entwick­lungen, wie speziellen Laufschuhen oder Exoskeletten, durch die verlängernde Hebel oder zusätzliche Elas­tizitäten verfügbar werden können, würden nur längere Beine oder elas­tischere Sehnen noch höhere Geschwindig­keiten ermöglichen. 

U. Koblenz-Landau / JOL

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