26.10.2020

Planetare Leibwächter

Simulationen lassen schützende Rolle von Gasriesen für erdähnliche Planeten erwarten.

Eine Gruppe von Astronomen, angeführt von Martin Schlecker vom Max-Planck-Institut für Astronomie, hat ermittelt, dass die Anordnung von Gesteins-, Gas- und Eisplaneten in Planeten­systemen offenbar nicht zufällig ist und von nur wenigen Anfangs­bedingungen abhängt. Die Studie basiert auf einer neuen Simulation, die die Entwicklung von Planeten­systemen über mehrere Milliarden Jahre verfolgt. Planeten­systeme mit sonnen­ähnlichen Sternen, die im Innenbereich Supererden mit geringem Wasser- und Gasgehalt hervorbringen, produzieren demnach sehr oft einen Planeten vergleichbar mit unserem Jupiter auf einer äußeren Bahn. Solche Planeten helfen, potenziell gefährliche Objekte aus den Innenbereichen fern zu halten. 
 

Abb.: Künstlerische Darstellung eines Planeten­systems mit zwei Super­erden...
Abb.: Künstlerische Darstellung eines Planeten­systems mit zwei Super­erden und einem Jupiter im Orbit um einen sonnen­ähnlichen Stern (Bild: MPIA)

Wissenschaftler vermuten, dass der Planet Jupiter für die Entwicklung von Leben auf der Erde eine wichtige Rolle spielte, weil er durch seine Gravitation potenziell gefährliche Asteroiden und Kometen auf ihrer Bahn in die Zone der Gesteins­planeten oft so ablenkt, dass die Zahl der katastrophalen Kollisionen verringert wird. Dieser Umstand wirft daher immer wieder die Frage auf, ob eine solche Kombination von Planeten eher zufällig ist, oder sie ein übliches Ergebnis der Entwicklung von Planeten­systemen darstellt.

Nun haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg, von der Universität Bern sowie der Universität von Arizona starke Hinweise darauf gefunden, dass Gesteins­planeten ähnlich der Erde auffällig oft zusammen mit einem jupiter­ähnlichen Planeten auftreten, der sich auf einem weiten Orbit befindet. „Solche Gasriesen nennen wir kalte Jupiter. Sie entwickeln sich in einem Abstand vom Zentralgestirn, wo Wasser in Form von Eis vorliegt“, erläutert Martin Schlecker, Doktorand am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg, der die Studie leitete. Bei den untersuchten erdähnlichen Planeten handelt es sich um trockene Supererden, also Gesteins­planeten größer und massereicher als die Erde, die nur eine dünne Atmosphäre sowie kaum Wasser oder Eis besitzen. Sie bevölkern die innere, also temperierte Zone der Planetensysteme und sind bis auf ihre Größe der Erde sehr ähnlich. „Auch die Erde ist trotz der riesigen Ozeane und den Polarregionen mit einem Volumenanteil für Wasser von nur 0,12 Prozent insgesamt ein trockener Planet“, gibt Schlecker zu bedenken.

Einen kalten Jupiter zusammen mit einer eisreichen Supererde im Innenbereich zu finden ist demzufolge nahezu ausgeschlossen. Dichte, ausgedehnte Gashüllen findet man zudem vorwiegend bei massereichen Supererden. Diese Schluss­folgerungen basieren auf einer statistischen Auswertung von neuen Simulationen von 1000 Planetensystemen, die sich in einer protoplanetaren Scheibe um einen sonnenähnlichen Stern entwickeln. Diese Simulationen sind die neueste Entwicklung aus einer langjährigen Kooperation der Universität Bern und dem MPIA zur theoretischen Erforschung der Entstehung von Planeten. Ausgehend von zufälligen Anfangs­bedingungen etwa für die Massen von Gas und fester Materie, die Größe der Scheibe sowie die Positionen der Keimzellen neuer Planeten, verfolgten die Wissenschaftler die den Lebenszyklus dieser Systeme über mehrere Milliarden Jahre. „Dabei sammelten die Planetenembryos Material auf, wuchsen zu Planeten heran, änderten ihre Bahnen, kollidierten oder wurden aus dem System heraus­geschleudert“, schildert Christoph Mordasini von der Universität Bern und Co-Autor der Forschungsarbeit die simulierten Prozesse. Die simulierten Planeten­systeme besaßen schließlich Planeten unterschiedlicher Größe, Masse und Zusammensetzung auf verschiedenen Bahnen um den Zentralstern.

Hubert Klahr, Leiter der Arbeitsgruppe zur Theorie der Planeten­entstehung am MPIA erklärt: „Solche Simulationen unterstützen die Erforschung von Exo­planeten­systemen, da Planeten wie kalte Jupiter auf ihren weiten Bahnen viel Zeit benötigen, um ihren Mutterstern zu umrunden.“ Das erschwert ihr Auffinden durch Beobachtungen, so dass die Suche nach Exoplaneten die tatsächliche Zusammensetzung von Planeten­systemen nicht realistisch wiedergibt. Astronomen finden bevorzugt massereiche Planeten in engen Orbits um massearme Sterne. „Simulationen sind dagegen prinzipiell unabhängig von solchen Einschränkungen“, ergänzt Klahr.

„Wir wollten einen überraschenden Befund überprüfen, nachdem Beobachtungen der letzten Jahre immer wieder ergaben, dass in Planeten­systemen mit einem kalten Jupiter fast immer auch eine Supererde zu finden ist“, erzählt Schlecker. Umgekehrt scheinen etwa dreißig Prozent aller Planeten­systeme, in denen sich Supererden bilden, auch kalte Jupiter zu besitzen. Intuitiv wäre zu erwarten, dass massereiche Planeten eher dazu neigten, Planeten­systeme während ihrer Entstehung so zu stören, dass die Bildung weiterer Planeten behindert wird. Offenbar sind diese kalten Jupiter jedoch ausreichend weit von den Innen­bereichen entfernt, sodass ihr Einfluss auf die Entwicklung eher gering zu ein scheint.

Die Auswertung der simulierten Planetensysteme konnte diesen Trend jedoch nicht bestätigen. Lediglich ein Drittel aller kalten Jupiter wurde von mindestens einer Supererde begleitet. Weiterhin fanden die Astronomen in nur zehn Prozent aller synthetischen Planeten­systeme mit Supererden auch einen kalten Jupiter. Damit ergeben die Simulationen sowohl für Supererden als auch für kalte Jupiter nur eine geringfügig höhere Wahrscheinlichkeit, diese gemeinsam in einem Planeten­system anzutreffen, als wenn sie alleine aufträten. Die Wissenschaftler führen dieses Ergebnis auf mehrere Gründe zurück.

Eine Erklärung hat mit der Rate zu tun, mit der Gasplaneten allmählich in weiter innen liegende Zonen wandern. Die Planeten­entstehungs­theorie scheint höhere Raten vorherzusagen als beobachtet, was zu einer vermehrten Anhäufung von Gasriesen auf Bahnen mittleren Abstands führt. In den Simulationen stören diese „warmen“ Jupiter von dort die inneren Umlaufbahnen und sorgen dafür, dass vermehrt Supererden heraus­geschleudert werden oder sogar in gigantischen Kollisionen aufeinander­treffen. Mit einer etwas geringeren Migrations­neigung von Gasplaneten in den Simulationen blieben mehr von den Supererden übrig, was wiederum besser mit den Beobachtungs­funden vereinbar wäre.

Nun unterscheiden die Beobachtungen nur grob zwischen verschiedenen Arten von Supererden, da für ihre genaue Charakterisierung präzise Messungen notwendig wären, die mit den heutigen Instrumenten kaum zu bewerkstelligen sind. In den Simulationen der Bern-Heidelberg-Gruppe ist das jedoch möglich, indem sie den Weg eines Planeten innerhalb der protoplanetaren Scheibe sowie ihre Begegnungen mit anderen Planeten nachverfolgen können. „Wir fanden einen deutlichen Überhang an Planeten­systemen, in denen sich sowohl ein kalter Jupiter als auch mindestens eine trockene Supererde, also mit nur wenig Wasser beziehungsweise Eis, und einer höchstens dünnen Atmosphäre befindet“, stellt Schlecker fest. Ein Vergleich mit Beobachtungs­daten ist schwierig, da von den bisher bekannten etwa 3200 Planeten­systemen nur 24 nachweislich mit solch einer Konstellation vergleichbar sind. Dennoch stimmen die vorhandenen Ergebnisse gut überein. Auf der anderen Seite findet man kaum Planetensysteme, in denen gleichzeitig Supererden mit hohem Eisanteil und kalte Jupiter existieren.

Aus diesem Befund haben die Astronomen ein Szenario entwickelt, das die Entstehung dieser recht unterschiedlichen Arten von Planeten­systemen erklären könnte. Wie die Simulationen ergeben, ist für die endgültige Konstellation hauptsächlich die Masse der protoplanetaren Scheibe maßgeblich, also die Menge an Material, die für die Akkretion von Planeten zur Verfügung steht.

In Scheiben mit mittlerer Masse gibt es im inneren, warmen Bereich nicht genug Material, um Supererden zu produzieren. Gleichzeitig ist die Menge auch im Außen­bereich jenseits der Schnee­linie, wo Wasser in gefrorener Form vorliegt und der Anteil von Eisbrocken recht groß ist, zu gering, um massereiche Planeten wie einen Jupiter zu bilden. Stattdessen verdichtet sich dort das Material zu Supererden mit hohem Anteil von Eis mit einer möglicherweise ausgedehnten Gashülle. Diese Super­erden wandern allmählich nach innen. In massereichen Scheiben ist dagegen genügend Material vorhanden, sodass sowohl erdähnliche Gesteinsplaneten in moderaten Entfernungen zum Zentral­stern als auch kalte Riesenplaneten jenseits der Schneelinie entstehen können. Die Gesteins­planeten sind arm an Eis und Gas. Außerhalb der Bahn des kalten Jupiters können sich eisreiche Supererden bilden, deren Wanderung in radialer Richtung jedoch durch den Einfluss des Riesenplaneten begrenzt wird. Sie können daher nicht in die innere, warme Zone vordringen.

Dieses Konzept wird jedoch erst mit leistungsstarken Teleskopen wie dem Extremely Large Telescope (ELT) der Europäischen Süd­sternwarte oder dem James-Webb-Space-Telescope (JWST) überprüft werden können. Beide sollen noch in diesem Jahrzehnt die Arbeit aufnehmen. „Theoretische Vorhersagen müssen an der Erfahrung scheitern können“, fordert Schlecker. „Mit den kurz vor dem Einsatz stehenden Instrumenten der nächsten Generation werden wir prüfen können, ob unser Modell standhält oder wir zurück ans Zeichenbrett müssen.“

Prinzipiell könnte dieses Ergebnis auch für solch trockene Gesteinsplaneten gelten, die in etwa die Größe und die Masse der Erde haben. Demnach wäre es vielleicht doch kein Zufall, dass sich im Sonnensystem neben der Erde auch ein Planet wie Jupiter befindet. Allerdings sind die heute zu Verfügung stehenden Mess­instrumente nicht empfindlich genug, um solche Erdzwillinge zuverlässig in großer Zahl mittels Beobachtungen nachzuweisen. Daher müssen sich die Astronomen derzeit noch weitgehend auf die Untersuchung der massereichen Pendants der Erde beschränken. Erst mit dem ELT und dem JWST sind Fortschritte in dieser Richtung zu erwarten.

MPIA/ DE
 

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