22.11.2017

Physiker mit großen Nerven

Vor 100 Jahren wurde der Biophysiker und Nobelpreisträger Andrew Fielding Huxley geboren.

Andrew F. Huxley im Labor (Quelle: US National Library of Medicine)

Die britischen Biophysiker Andrew Huxley, geboren am 22. November 1917 in London, und Alan Hodgkin konnten 1952 zeigen, wie Nervenimpulse zwischen Zellen durch Ionen übertragen werden. Dies war ein wichtiger Meilenstein für die Etablierung der Neurophysik und brachte den beiden zusammen mit dem australischen Neurophysiologen John Eccles 1963 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ein.

Hodgkin und sein frischgebackener Assistent Huxley hatten ihre Forschungen bereits im Sommer 1939 am Marine Biological Laboratory in Plymouth begonnen. Dort arbeiteten sie mit Tintenfischen, weil sie an deren vergleichsweise großen Nervenfasern gut die Ausbreitung elektrischer Signale messen konnten. Doch bevor eine eingehendere Untersuchung gelang, unterbrach der Zweite Weltkrieg ihre Experimente. Erst 1947 konnten sie diese wieder aufnehmen.

Andrew Fielding Huxley entstammte einer Familie von Gelehrten und Literaten. Sein Großvater war der Biologe Thomas Henry Huxley, auch „Darwins Bulldogge“ genannt, weil er Darwins Evolutionstheorie propagierte und etwa im Wortgefecht mit dem Bischof von Oxford verteidigte. Bekannt sind auch Andrews ältere Halbbrüder, der Biologe Julien Huxley und der Schriftsteller Aldous Huxley.

Die ausgeprägte handwerkliche Begabung des jungen Andrew, der sich schon früh für die beiden alten Mikroskope im Haus interessierte, kam von seiner Mutter Rosalind, die sein Vater Leonard, ein Literat und Journalist, vier Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau geheiratet hatte. Als Andrew 12 Jahre alt war, erhielten er und sein Bruder David eine Drehbank. Die praktischen Fertigkeiten, die er in seiner Jugend erwarb, kamen ihm später bei seinen entscheidenden Versuchen mit Hodgkin zugute, denn für die Messungen an den filigranen Nervenfasern mussten neue Apparaturen gebaut werden.

Mit 18 Jahren ging Andrew als Stipendiat an das Trinity College, Cambridge, um Physik zu studieren. Dass er sich später der Biophysik zuwandte, war der Organisation des naturwissenschaftlichen Grundstudiums geschuldet. Neben Mathematik, Physik und Chemie musste er ein weiteres experimentelles Fach belegen – und wählte Physiologie. Im zweiten Jahr des Hauptstudiums lernte er Alan Hodgkin kennen. Der drei Jahre ältere Forscher war gerade vom Forschungszentrum in Woods Hole, Massachusetts, zurückgekehrt, wo er bereits mit Tintenfischen experimentiert hatte. Während des folgenden Aufenthalts in Plymouth wollte er Andrew Huxley in die Methode einführen.

Seit Luigi Galvanis Experimenten mit zuckenden Froschschenkeln wusste man, dass die Reizleitung in Nervenzellen auf Elektrizität beruht. Inzwischen hatte man die Vorstellung eines leitenden Drahts zugunsten einer Potentialdifferenz an der Membran aufgegeben. Man vermutete, dass Ionenflüsse die Differenz erzeugen.

Während der drei Monate in Plymouth gelang es Hodgkin und Huxley, die Aktions- und Ruhepotentiale am Riesen-Axon des Tintenfischs quantitativ zu messen. Zu ihrer Überraschung war das Aktionspotential deutlich größer als das Ruhepotential. Das konnte man nicht dadurch erklären, dass bei elektrischer Erregung Ionen von einer Seite der Membran auf die andere wechseln. Dann hätte der Betrag beider Potentiale nämlich gleich sein müssen.

Im ersten Kriegsjahr studierte Huxley Medizin in London, doch als die Vorlesungen wegen der zunehmenden Luftangriffe endeten, wurde er für ein britisches Flugabwehrkommando rekrutiert und arbeitete in der Radarkontrolle. Danach entwickelte er für die Admiralität Waffen für die Marine. Später bekannte er, durch diese Arbeiten für später Nützliches gelernt zu haben, insbesondere Methoden zur numerischen Lösung von Differentialgleichungen.

1946 trat Huxley ein Forschungsstipendium am Trinity College an, das er schon 1941 erhalten hatte. Auch Hodgkin war nach Cambridge zurückgekehrt. Doch als er im Sommer 1947 die Arbeit in Plymouth wieder aufnehmen wollte, musste er zunächst auf Huxley verzichten, denn dieser war mit der Gründung eines Hausstands beschäftigt. Aus der Ehe mit Jocelyn Pease gingen fünf Töchter und ein Sohn hervor.

In den folgenden sechs Jahren legten Hodgkin und Huxley die Grundlagen für unser heutiges Verständnis der Signalausbreitung in Nervenzellen. Sie fanden heraus, dass es dabei zu einem Austausch von Natrium- und Kaliumionen durch die Zellmembran kommt. Das 1952 publizierte Hodgkin-Huxley-Modell stellt die spannungsabhängigen Membranwiderstände durch einen Schaltkreis dar. Bereits 1949 publizierte Huxley mit dem Schweizer Physiologen Robert Stämpfli das Modell der saltatorischen Erregungsleitung bei Wirbeltieren, deren Nervenfasern von isolierenden Myelinscheiden umgeben sind.

Die zweite große Leistung von Andrew Huxley war es, aufzuklären, was bei der Kontraktion von Muskelfasern geschieht. Da die Fasern der gestreiften Muskulatur mit den damals verfügbaren Lichtmikroskopen nicht detailliert untersucht werden konnten, konstruierte Huxley ein Interferenzmikroskop, über das er schon während des Krieges nachgedacht hatte. 1954 zeigte er, dass die kleinen Filamente an den Enden überlappen und sich bei Stimulation ineinander verschieben.

Bis 1960 war Huxley Dozent am Trinity College in Cambridge, dann wechselte er an die University of London. 1974 wurde er zum Ritter geschlagen. Er war Mitglied vieler wissenschaftlicher Gesellschaften und Akademien, darunter der Royal Society, deren Präsident er von 1980 bis 1985 war, oder der deutschen Leopoldina. Andrew Huxley starb 2012 im Alter von 94 Jahren in Grantchester, Cambridgeshire.

Anne Hardy

EnergyViews

EnergyViews
Dossier

EnergyViews

Die neuesten Meldungen zu Energieforschung und -technologie von pro-physik.de und Physik in unserer Zeit.

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Meist gelesen

Themen