20.01.2022

Paul Langevin: Magnetismus und Widerstand

Der französische Physiker, der vor 150 Jahren geboren wurde, prägte die Erforschung des Magnetismus und hatte ein wechselvolles Leben.

Paul Langevin ist zusammen mit Max von Laue Namensgeber des Institut Laue-Langevin in Grenoble, eines der führenden Zentren für die Forschung mit Neutronen. Damit lassen sich insbesondere die magnetischen Eigenschaften von Materialien untersuchen – ein zentrales Thema in der Biographie von Paul Langevin, der als begabtes Kind aus einer Arbeiterfamilie eine glanzvolle wissenschaftliche Karriere machte.

Sein wichtigster Beitrag zur Physik ist die Erklärung des Para- und Diagmagnetismus. Die Presse hat ihn vor allem 1911 als heimlichen Liebhaber Marie Curies im Visier. In den 1930er- und 1940er-Jahren kämpft er gegen Faschismus und Militarismus. Er stirbt hoch geehrt und wird im Pantheon unter den Großen Frankreichs beigesetzt.

Als Paul Langevin 1895 seine wissenschaftliche Karriere beginnt, steht die Physik kurz vor dem tiefgreifenden Wandel durch die Relativitäts- und Quantentheorie. Langevin wirkt bei dieser Entwicklung mit. In seinen ersten theoretischen Arbeiten aus den Jahren 1904 und 1905 beschäftigt er sich mit der Lorentzschen Elektronentheorie und weist auf die Konsequenzen hin: die Längenkontraktion und den Massenzuwachs mit zunehmender Geschwindigkeit. Einstein bemerkt dazu später, Langevin hätte die Spezielle Relativitätstheorie formuliert, wenn dies nicht schon anderen Ortes geschehen wäre.

Die Geburt von Paul Langevin am 23. Januar 1872 in Paris fällt in die Zeit kurz nach der Pariser Commune. Seine Familie ist republikanisch gesinnt. Der Vater arbeitet als Vermesser und Prüfer auf dem Bau, die Mutter ist Lehrerin. Mit 16 Jahren besucht Paul die neu gegründete Ingenieurschule „École Municipale de Physique et Chimie“. Er arbeitet im Labor von Pierre Curie und beginnt, sich für Magnetismus zu interessieren.

Auf Pierre Curies Rat beschließt er, sich der Wissenschaft zuzuwenden, anstatt Ingenieur zu werden. Die Aufnahmeprüfung für die Pariser Eliteschule „École Normale Supérieure“ besteht er 1893 als Bester. Dort studiert er nach einjährigem Militärdienst von 1894 bis 1897 Physik und Mathematik. Seine Lehrer sind Marcel Brillouin und Gabriel Lippmann. Anschließend ermöglicht ihm ein Stipendium einen Aufenthalt in Cambridge bei Joseph John Thomson, wo er Ionisierungsexperimente mit Röntgenstrahlen macht. Am Cavendish Laboratory lernt er Ernest Rutherford, John Townsend und C. T. R. Wilson  kennen und freundet sich mit ihnen an.

1898 kehrt Langevin nach Paris zurück und beginnt seine Dissertation über ionisierte Gase bei Jean Perrin an der Sorbonne. Hier pflegt er engen Kontakt mit dem Ehepaar Curie und erlebt die Geburtsstunde der Radioaktivität aus nächster Nähe. Nach Abschluss seiner Dissertation 1902 beginnt er am Collège de France Physik zu unterrichten. 1904 folgt er Pierre Curie als Lehrer an der École Municipale. Nach dessen Tod 1906 übernimmt er auch den Unterricht für Marie Curie an der École Nationale Supérieure de Jeunes Filles.

Langevin ist ein begeisterter und ausgezeichneter Lehrer. Mit dem Ehepaar Curie und dem Mathematiker Émile Borel startet er ein Lehrexperiment für die eigenen Kinder. Die Curies haben zwei Töchter, die Langevins vier Kinder. Sie erhalten von den Eltern Privatunterricht, der auch praktisches Arbeiten im Labor einschließt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Paul Langevin von der französischen Regierung mit einer Unterrichtsreform beauftragt.

Zurück zum Jahr 1905: Langevin untersucht die Ionen der Atmosphäre auf dem Eiffelturm und dem Observatorium auf dem Pic du Midi. Dann wendet er sich wieder der Theorie zu. 1905 ist für ihn – wie für Einstein – ein fruchtbares Jahr. Er publiziert nicht nur die oben erwähnten Überlegungen zu den Lorentz-Gleichungen, sondern wendet sich auch wieder dem Magnetismus zu.  

Pierre Curie hatte beobachtet, dass sich die Suszeptibilität paramagnetischer Materialien mit der Temperatur ändert. Um das zu erklären, postuliert Langevin, dass magnetische Materialien aus einer Vielzahl kleiner Magnete bestehen. Diese würden von Elektronen erzeugt, die auf geschlossenen Bahnen im Atom kreisen. Beim Paramagnetismus würden sich die magnetischen Momente im Atom nicht gegenseitig aufheben, sodass ein resultierendes magnetisches Moment entsteht. Die statistische Wärmebewegung störe mit zunehmender Temperatur die Ausrichtung der mikroskopischen Magnete im äußeren Magnetfeld (Langevin-Gleichung, Langevin-Funktion).

Als Langevin 1906 von der Speziellen Relativitätstheorie erfährt, wird er zu einer ihrer engagiertesten Vertreter. Er lehrt sie am Collège de France und hält Vorträge dazu bei der Société française de philosophie. Von Langevin stammt das Gedankenexperiment des Zwillingsparadoxons. Bei den Solvay Konferenzen, die ab 1911 in Brüssel stattfinden, treffen Langevin und Einstein zusammen und werden Freunde. Als Langevin 1928 Vorsitzender der Solvay Konferenzen wird, steigt sein internationales Ansehen.

1911 gelangt der Physiker durch die „Langevin-Affäre“ zu ungewollter Popularität. Vermutlich ab dem Sommer 1910 hat er mit der fünf Jahre jüngeren Witwe Pierre Curies eine Liebesbeziehung. Frau Langevin reicht die Scheidung ein und droht mit der Veröffentlichung der Liebesbriefe. Aber vor allem Marie Curie wird scharf angegriffen. Der Herausgeber der Zeitschrift „L'Œuvre“ beschimpft sie als „Fremde“, „Intellektuelle“ und „Emanze“, die eine französische Familie zerstöre. Darauf fordert ihn Langevin zu einem Pistolenduell, bei dem allerdings kein Schuss fällt. Erst nachdem das Ehepaar Langevin sich außergerichtlich geeinigt hat, kehrt Ruhe ein.

Während des Ersten Weltkriegs entwickelt Langevin ein Verfahren zur Ortung von U-Booten mittels Ultraschall, das eine Vorstufe des Echolots darstellt. Diese Aufgabe verträgt sich noch am ehesten mit seiner pazifistischen Haltung. Er hat seit der Kindheit eine tiefe Abneigung gegen Gewalt und einen leidenschaftlichen Sinn für soziale Gerechtigkeit. Schon 1898 hat er eine Petition zu Gunsten von Alfred Dreyfus unterzeichnet. 1919 tritt er der Société des Nations bei, einer Vorläufer-Organisation der Vereinten Nationen. Er wendet sich gegen den Einsatz chemischer und biologischer Waffen. Ebenso setzt er sich nach dem Krieg für eine schnelle Wiederaufnahme des wissenschaftlichen Austauschs ein. 1922 lädt er Albert Einstein, gegen den Widerstand der französischen Nationalisten, zu einer Vortragsreihe nach Frankreich ein.

1933, im Alter von 61 Jahren, wird Langevin nochmals Vater. Er hat einen Sohn mit einer früheren Studentin, die seine wissenschaftliche Sekretärin und Lebensgefährtin ist. Die Royal Society zeichnet ihn mit der Hughes Medaille aus (1915) und nimmt ihn 1928 in ihre Reihen auf. 1940 verleiht sie ihm die Copley Medaille. Er wird 1934 in die französische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.

In den 1930er-Jahren ist Langevin Mitbegründer zweier antifaschistischer Bewegungen. Nach der Besetzung von Paris durch die Deutschen wird er im Oktober 1940 inhaftiert. Die Haft wird auf Vermittlung Wolfgang Gentners und anderer befreundeter deutscher Wissenschaftler in einen Hausarrest in Troyes umgewandelt. 1942 wird sein Schwiegersohn, der Kommunist Jacques Solomon, hingerichtet. Langevins Tochter Hélène wird 1943 nach Auschwitz deportiert. Langevin, der um seine Sicherheit fürchtet, flieht mit Hilfe von Freunden 1944 in die Schweiz. Im gleichen Jahr tritt er in die kommunistische Partei ein, um die Lücke, die durch den Tod seines Schwiegersohns entstanden ist, zu füllen. Seine Tochter überlebt Auschwitz und wird 1945 kommunistische Abgeordnete in der verfassungsgebenden Versammlung.

Paul Langevin stirbt nach kurzer Krankheit im Alter von 74 Jahren am 19. Dezember 1946 in Paris. Seine Gebeine werden 1948 ins Pantheon überführt. Einstein schreibt in seinem Nachruf: „Langevin’s scientific thought displayed an extraordinary clarity and vivacity combined with a quick and sure intuition for the essential point. Because of those qualities, his courses exerted a decisive influence on more than a generation of French theoretical physicists.“

Die enge Verbindung zur Curie-Familie wie der Physik setzte sich auch in den nachfolgenden Generationen fort: Langevins Enkel Michel Langevin ist mit der Enkelin von Marie Curie, Hélène Joliot-Curie, verheiratet. Beide sind Physiker.

Anne Hardy

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