08.02.2019

Nobelpreisträger Manfred Eigen gestorben

Begründer des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen wurde 91 Jahre alt.

Er war einer der vielseitigsten deutschen Forscher und ein öffentlich weit sichtbarer Vertreter der Wissenschaft. Manfred Eigen, Chemie-Nobelpreisträger und Begründer des Max-Planck-Instituts (MPI) für biophysikalische Chemie in Göttingen, ist am 6. Februar 2019 im Alter von 91 Jahren verstorben. „Manfred Eigen verstand es wie kaum ein anderer, vorherrschende Denkmuster zu durchbrechen und mit Erfolg wissenschaftlich neue Richtungen einzuschlagen“, so Herbert Jäckle, langjähriger Vize-Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. „Diese Fähigkeit zeichnete ihn bereits zu den Anfängen seiner wissenschaftlichen Karriere aus und zieht sich als roter Faden durch sein gesamtes Leben.“

Abb.: Manfred Eigen während einer Vorlesung im Jahr 1979. (Bild: Blachian, MPG)
Abb.: Manfred Eigen während einer Vorlesung im Jahr 1979. (Bild: Blachian, MPG)

„Mit dem Tod von Manfred Eigen verlieren wir einen herausragenden Denker und genialen Forscher, der das Leben von Mitarbeitern und Wissenschaftlern auf der ganzen Welt maßgeblich geprägt hat. Seine Vision, komplexe Lebensvorgänge mit biologischen, physikalischen und chemischen Methoden zu erforschen und das Entdeckte zum Nutzen für den Menschen anzuwenden, hat Manfred Eigen am MPI für biophysikalische Chemie verwirklicht. Diese Vision und seine integrative Persönlichkeit prägen den Spirit unseres Instituts bis heute. Dass wir Manfred Eigen als Mentor haben durften, war ein Segen – für seine Mitarbeiter ebenso wie für das weitere Umfeld in Göttingen“, sagt Nobelpreisträger und Direktorenkollege Erwin Neher

„Manfred Eigen hat 1967 schon mit 40 Jahren den Nobelpreis für Chemie erhalten“, betont MPG-Präsident Martin Stratmann. „Der Nobelpreis ist eigentlich die Krönung eines jeden Forscherlebens. Doch Eigen blieb auch in den Folgejahren wissenschaftlich höchst produktiv. Dabei war er seiner Zeit oft voraus. So waren seine theoretischen Überlegungen zur gerichteten Evolution von Enzymen aus den 1980er-Jahren Ausgangspunkt für jene Arbeiten, für die 2018 der Chemie-Nobelpreis vergeben wurde. Den wissenschaftlichen Campus in Göttingen hat Manfred Eigen maßgeblich mitgestaltet. Die Max-Planck-Gesellschaft verliert mit ihm einen bedeutenden Wissenschaftler.“ 

Bereits in seinen ersten Jahren als Wissenschaftler in Göttingen stellte Manfred Eigen seine Gabe als Querdenker unter Beweis. Als er 1953 als junger Assistent von Karl Friedrich Bonhoeffer am MPI für physikalische Chemie damit anfing, extrem schnelle chemische Reaktionen zu untersuchen, galten einige dieser Abläufe in der Wissenschaft als „unmessbar schnell“. Doch Eigen war nicht bereit, sich mit dieser vorherrschenden Lehrbuchmeinung zufriedenzugeben, für die es seiner Ansicht nach keine fundierten Argumente gab. Er war der festen Überzeugung, dass in der Chemie nichts unmessbar sei und schlicht die geeigneten Methoden fehlten. So begann der Physiko-Chemiker, die Relaxations-Messmethoden zu entwickeln. 1954 stellte er diese bei der Faraday Society in London öffentlich vor. Was er dort präsentierte, war eine wissenschaftliche Sensation. Denn mit diesen Methoden war es erstmals möglich, Reaktionsgeschwindigkeiten im Mikro- und sogar Nanosekunden-Bereich zu messen. Sein wissenschaftlicher Durchbruch klärte zentrale Fragen der Biochemie, beispielsweise wie Enzymaktivitäten gesteuert werden, und brachte ihm 1967 gemeinsam mit Ronald G. W. Norrish und George Porter den Nobelpreis für Chemie. 

In der Folge erhielt Eigen zahlreiche Angebote von renommierten Forschungseinrichtungen und Universitäten in der ganzen Welt. Er verfolgte allerdings andere Ziele und trat mit Ideen zum Aufbau eines neuen, interdisziplinären Instituts in Göttingen an die MPG heran. In den späten 1960er-Jahren stieß sein visionärer Vorschlag, physikalische, chemische und biologische Forschung an einem Institut zu vereinen, in der MPG zunächst auf Skepsis. Nach einigem Zögern stimmte die Gesellschaft Eigens Ideen zu, das MPI für physikalische Chemie mit dem MPI für Spektroskopie zu einem neuen Institut zusammenzulegen und um weitere Fachgebiete zu ergänzen. 1971 wurde schließlich das MPI für biophysikalische Chemie gegründet. Von den anfangs fünf Abteilungen wuchs das Institut in den ersten Jahren auf zwölf Abteilungen an. Die Einrichtung der neuen Abteilungen begleitete Manfred Eigen gemäß seinem Grundsatz: „Es ist nicht das Forschungsgebiet, das zählt, sondern die Exzellenz der Individuen.“ Eine Überzeugung, der das Institut auch heute noch folgt. „Alles, was neu ist, muss aus der Grundlagenforschung kommen, sonst ist es nicht neu“, so sagte es Manfred Eigen einmal. Er begründete im Laufe seiner Karriere damit gleich zwei große wissenschaftliche Schulen, zunächst in der chemischen Reaktionskinetik und später in der Entwicklung eines molekularen Zugangs zur Evolutionsbiologie. 

Manfred Eigen wurde 1927 in Bochum geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Chemie und Physik in Göttingen, unter anderem bei Werner Heisenberg und Wolfgang Paul. Mit nur 24 Jahren schloss er seine Promotion in physikalischer Chemie bei Arnold Eucken ab. 1953 wechselte er als Assistent zu Karl Friedrich Bonhoeffer an das MPI für physikalische Chemie, wo er an der Messung ultraschneller Reaktionen forschte und die Relaxationsmethoden entwickelte. Vier Jahre nach der ersten Vorstellung dieser Methoden berief ihn die Max-Planck-Gesellschaft 1958 als Wissenschaftliches Mitglied und er wurde Direktor und Leiter der Abteilung Chemische Kinetik am Göttinger MPI für physikalische Chemie. Nach Gründung des MPI für biophysikalische Chemie leitete er dort von 1971 bis zu seiner Emeritierung 1995 die Abteilung Biochemische Kinetik. In den Ruhestand ging Eigen allerdings nicht: Am MPI für biophysikalische Chemie sowie am Scripps Research Institute in La Jolla (Kalifornien, USA) war er viele weitere Jahre bis ins hohe Alter wissenschaftlich aktiv.

MPG / JOL

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