16.04.2021

Neuartige steuerbare Kraft in Elektrolytlösungen

Dynamisch erzeugte Korrelationen sind skaleninvariant und haben keine Abschirmlänge.

Elektrolyte sind nicht nur in Batterien und Kondensatoren allgegen­wärtig, sondern auch in Biofluiden wie Blutplasma. Von großer praktischer Bedeutung ist es daher zu verstehen, wie Elektrolyte genutzt werden können, um lebende Zellen oder andere Objekte, die in sie eingetaucht sind, zu kontrol­lieren. In einer neuen Studie decken Forscher des MPI für Dynamik und Selbst­organisation in Göttingen und der Uni Oxford auf, wie Kräfte in Elektrolyt­lösungen über große Distanzen hinweg und mit einem beispiel­losen Maß an Kontrolle über­tragen werden können.

Abb.: Das Anlegen eines elek­trischen Feldes an einem Ionen­kanal führt zu...
Abb.: Das Anlegen eines elek­trischen Feldes an einem Ionen­kanal führt zu ent­gegen­ge­setzten Strömen von positiv ge­ladenen Kationen und negativ ge­ladenen Anionen. (Bild: Novak, Mahdi­soltani & Goles­tanian, MPIDS)

Selbst aus großer Entfernung stoßen sich gleich­namige Ladungen ab, während sich ungleich­namige Ladungen gegen­seitig anziehen. Diese Fernwirkung macht die Untersuchung von Elektrolyten, die aus zahlreichen, sich in einem Lösungs­mittel bewegenden Ionen bestehen, schwierig, da sie impliziert, dass alle Ionen die Bewegungen der anderen zu jedem Zeitpunkt beeinflussen. Wenn sich jedoch ungleich­namige Ionen aufgrund gegen­seitiger Anziehungs­kraft einander nähern, wird ihre Wirkung auf weiter entfernte Ionen aufgehoben, ein Phänomen, das oft als Abschirmung bezeichnet wird. Das Konzept der Abschirmung bietet einen einfachen Rahmen für die Modellierung von Elektrolyten, nämlich die Molekularfeld-Näherung, die annimmt, dass Ionen, die sich in einem großen Abstand vonein­ander befinden, keine effektive Kraft aufeinander ausüben können.

Mehrere aktuelle experimentelle Ergebnisse haben allerdings starke Abweichungen von solchen Näherungs­lösungen gezeigt und verlangen nach neuartigen Theorien. Die neue Studie von Saeed Mahdisoltani und Ramin Golestanian beleuchtet die Frage, wie sich Ionen in Elektrolyten verhalten, wenn sie durch ein angelegtes elektrisches Feld in Bewegung gesetzt werden. Insbesondere stellen die Forscher dabei fest, dass auch weit voneinander entfernte Ionen immer noch miteinander korreliert sind, im deutlichen Widerspruch zum Konzept der Abschirmung. „Diese Erkenntnis hat wichtige Implikationen in Bezug auf die Kräfte, die auf externe Objekte ausgeübt werden, wenn sie von einem Elektrolyten umgeben sind, der einem äußeren elektrischen Feld ausgesetzt ist, wie in dieser Arbeit detailliert beschrieben wird", sagt Golestanian, Direktor der Abteilung Physik lebender Materie am MPIDS.

In ihrer Studie sind die Wissen­schaftler über den konventio­nellen Näherungs­ansatz hinaus­gegangen, indem sie die Auswirkungen der Ionen­fluktua­tionen unter dem Einfluss eines äußeren elektrischen Feldes berück­sichtigt haben. „Die Ergebnisse der Studie zeigen zum ersten Mal neuartige, dynamisch erzeugte Korrela­tionen, die skalen­invariant sind und keine Abschirm­länge haben“, sagt Mahdisoltani. „Das ist ein generisches Phänomen, das allein auf die Anisotropie zurück­zu­führen ist, die durch das elektrische Feld entsteht.“ Das Feld verformt die Wolke aus entgegen­gesetzten Ladungen um jedes Ion herum und führt zu Korrela­tionen, die nicht abgeschirmt werden. Es ist daher anzunehmen, dass dieser Mechanismus in einer Vielzahl von Systemen mit einer gleichen Anzahl von beweglichen Ladungen gilt, einschließlich Elektrolyten mit asymmetrischen Ladungen und Ionen­flüssig­keiten, und daher kann er die Betrachtung und Model­lierung von angeregten geladenen Lösungen stark verändern.

„Eine wichtige Auswirkung der lang­reich­weitigen dynamischen Korrela­tionen ist, dass externe Objekte, die weit voneinander in den Elektrolyten eingebracht werden, Kräfte aufeinander ausüben, da sie die Fluktua­tionen der gesamten Lösung und nicht nur ihrer unmittel­baren Umgebung beeinflussen“, erklärt Golestanian. „Dieser Effekt ist ein neuartiges Beispiel für die Entstehung von nicht-trivialen Kräften durch die Fluktua­tionen in einem Medium, wie sie normaler­weise in kritischen Systemen auftreten und bei der Manipulation von Kolloiden von großem Nutzen sind“, spezifiziert Mahdisoltani, „Es ist jedoch erstaunlich, wie weit steuerbar diese neue Kraft ist, d.h. sowohl ihre Stärke als auch ihre Richtung (anziehend oder abstoßend) können durch die Einstellung des angelegten elektrischen Feldes verändert werden.“

Die beiden Forscher erläutern, dass eine derartige Kontrolle über eine generische Kraft bei großen Entfernungen selten ist und daher diesen neuartigen Effekt von vielen anderen Fluktuations­kräften unter­scheidet. „Die außer­ge­wöhnlichen Eigen­schaften dieser neuartigen Kraft sind viel­ver­sprechend für die Entwicklung neuer Konstruktions­prinzipien in Anwendungen, die von der Manipulation von Zell­membranen bis zum Design von Super­konden­satoren, Nanoporen und Ionen­kanälen reichen", so Golestanian.

MPIDS / RK

Weitere Infos

Originalveröffentlichung

S. Mahdisoltani & R. Golestanian: Long-range fluctuation-induced forces in driven electrolytes, Phys. Rev. Lett. 126, 158002 (2021); DOI 10.1103/PhysRevLett.126.158002

 

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