14.07.2020 • NanophysikBiophysik

Nanoelektronik lernt wie das Gehirn

Erstmals Funktionsweise der Neuronen des Gehirns mit Halbleitermaterialien nachgeahmt.

Vor allem der Bereich der künstlichen Intelligenz verlangt stetig nach leistungs­fähigeren und dabei gleich­zeitig spar­sameren Computer­chips, um beispiels­weise Robotern das Laufen zu lernen oder präzise automa­tische Bild­erkennung zu ermöglichen. Während die Optimierung herkömm­licher Mikro­elektronik immer näher an physikalische Grenzen kommt, zeigt die Natur am Beispiel des Gehirns, wie sich Informationen schnell und energie­effizient verarbeiten und speichern lassen. Wissen­schaftlern der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf ist es jetzt erstmals gelungen, die Funktions­weise der Neuronen des Gehirns mit Halb­leiter­materialien nach­zu­ahmen.

Abb.: Neurotransistor – vom Siliziumchip zur neuromorphen Architektur. (Bild:...
Abb.: Neurotransistor – vom Siliziumchip zur neuromorphen Architektur. (Bild: E. Baek, TU Dresden)

Die heute gängige Methode, um die Leistungs­fähigkeit von Mikro­elektronik weiter zu erhöhen, liegt in der Verkleinerung der Komponenten, insbesondere der einzelnen Transistoren auf den Computer­chips aus Silizium. „Das geht aber nicht unendlich – wir benötigen neue Ansätze“, erklärt Larysa Baraban vom HZDR. Der Ansatz der Forscherin und ihrer Kollegen orientiert sich am Gehirn und verbindet Daten­verarbei­tung mit Daten­speicherung in einem künst­lichen Neuron.

„Unsere Gruppe hat viel Erfahrung mit biologischen und chemischen elektro­nischen Sensoren“, fährt Baraban fort. „Deshalb haben wir die Eigen­schaften der Neuronen mit den Prinzipien von Biosensoren simuliert und einen klassischen Feld­effekt­transistor so verändert, dass ein künst­licher Neuro­transistor entsteht.“ Der Vorteil einer solchen Architektur liegt in der gleich­zeitigen Speicherung und Verarbeitung von Informationen in ein und demselben Bauelement. Denn diese sind bei herkömm­licher Transistor­technik getrennt, was der Verarbeitungs­zeit und damit letzt­endlich auch der Leistungs­fähigkeit Grenzen setzt.

Die Idee, Computer nach dem Vorbild des Gehirns zu entwerfen, ist nicht neu. Bereits vor Jahr­zehnten gab es schon Versuche, Nerven­zellen in der Petri­schale mit Elektronik zu verbinden. „Aber niemand braucht einen nassen Computer­chip, der regel­mäßig gefüttert werden muss“, gibt Gianaurelio Cuniberti von der TU Dresden zu Bedenken. Er zählt zu den geistigen Vätern des Neuro­transistors. Jetzt konnten Cuniberti, Baraban und ihr Team ihn umsetzen.

„Wir bringen dafür eine zähflüssige Substanz – Solgel genannt – auf einen herkömm­lichen Silizium­wafer mit den Schaltungen auf. Dieses Polymer härtet aus und wird zu einer porösen Keramik“, erklärt Cuniberti. „Zwischen den Löchern bewegen sich Ionen. Sie sind schwerer als Elektronen und springen nach einer Anregung langsamer auf ihre Position zurück. Diese Verzögerung nennt man Hysterese und die ist für den Speicher­effekt verantwortlich.“ Das hat entscheidenden Einfluss auf die Funktions­weise, erläutert Cuniberti. „Je stärker der einzelne Transistor angeregt wird, umso eher öffnet er und lässt den Strom fließen. Damit verstärkt sich die entsprechende Verbindung. Das System lernt.“

Cuniberti und sein Team zielen dabei weniger auf herkömmliche Problem­stellungen ab. „Computer auf Basis unseres Chips wären weniger präzise und würden mathe­matische Berechnungen eher schätzen als bis in die letzte Nach­komma­stelle zu berechnen“, erklärt der Wissen­schaftler. „Aber sie wären intelli­genter. Ein Roboter mit solchen Prozessoren würde damit beispiels­weise laufen oder greifen lernen, ein optisches System besitzen und lernen, Zusammen­hänge zu erkennen. Und das alles, ohne Software entwickeln zu müssen.“ Das sind aber nicht die einzigen Vorteile neuro­morpher Computer. Dank ihrer Plastizität, die der des mensch­lichen Gehirns ähnelt, können sie sich im laufenden Betrieb an veränderte Aufgaben­stellungen anpassen und auch solche Probleme lösen, für die sie ursprünglich nicht programmiert wurden.

HZDR / RK

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