19.10.2022 • Materialwissenschaften

Mit maschinellem Lernen auf der Suche nach neuen Werkstoffen

Universelles Framework hilft, neue Hochentropie-Legierungen mit gewünschten Eigenschaften zu identifizieren.

Die Suche nach und das Design neuer Werkstoffe, die die Anforderungen von High-Tech Anwendungen erfüllen, ist zeit- und kosten­intensiv. Um die benötigten Material­eigen­schaften zu erzielen, wenden Wissen­schaftler häufig ein neues Legierungs­design an, bei dem sie unter­schied­liche Elemente in fast gleichen Mengen­anteilen vermischen. Die daraus entstehenden Hoch­entropie-Legierungen vereinen oft sehr gegen­sätzliche Eigen­schaften, wie zum Beispiel eine hohe Festigkeit bei gleichzeitig hoher Duktilität. Im Vergleich dazu bestehen herkömmliche Legierungen aus einem oder zwei Grund­elementen mit geringen Anteilen anderer Elemente. Das jedoch schöpft das volle Potenzial der einzelnen Elemente und deren synergetische Effekte nicht aus.

Abb.: Framework für aktives Lernen zur Ent­wick­lung von...
Abb.: Framework für aktives Lernen zur Ent­wick­lung von Hoch­entropie-Legier­ungen. Das Frame­work kom­bi­niert Modelle für ma­schi­nelles Lernen, auf der Dichte­funk­tio­nal­theorie basie­rende Be­rech­nungen, thermo­dyna­mische Simu­la­tionen und experi­men­telles Feed­back. (Bild: Z. Rao et al. / Science, AAAS)

„Wenn wir Hochentropie-Legierungen entwickeln wollen und nur die am häufigsten genutzten Elemente im Periodensystem in Betracht ziehen, dann ergeben sie 1050 mögliche Legierungs­varianten – eine Zahl, die nicht experimentell überprüft werden kann“, erklärt Ziyuan Rao vom MPI für Eisen­forschung. „Deshalb haben wir ein auf Wahrschein­lichkeits­modellen und künstlichen neuronalen Netzen basierendes Framework für aktives Lernen entwickelt.“

Dieses von Rao und einem inter­nationalen Team entwickelte universelle Framework für aktives maschinelles Lernen hilft, neue Legierungen mit gewünschten Eigen­schaften schneller und kosten­günstiger zu identifizieren. Das Framework wurde erfolgreich bei der Entdeckung neuer Invar-Legierungen mit speziellen Wärme­ausdehnungs­eigen­schaften angewendet. Diese Legierungen bestehen aus Eisen und Nickel und dehnen sich nicht aus, beziehungs­weise ziehen sich nicht zusammen, wenn sich die Temperatur ändert. Ihr idealer Einsatz­bereich sind Behälter zur Speicherung von flüssigem Wasserstoff, Ammoniak und Erdgas bei Temperaturen zwischen -160 °C und Raum­temperatur.

„Invar-Legierungen vorher­zusagen ist rechnerisch ein sehr anspruchs­volles Problem, weil verschiedene Faktoren wie Magnetismus und Gitter­schwingungen miteinander wechsel­wirken und die thermische Ausdehnung beeinflussen. Die Entdeckung neuer Invar-Legierungen ist deshalb ein hervor­ragender Beweis für unsere Berechnungen ebenso wie für das entwickelte Framework für aktives Lernen“, sagt Fritz Körmann von der Universität Delft und dem MPIE.

Das von den Wissen­schaftlern entwickelte Framework für aktives Lernen umfasst drei grund­legende Schritte. Zuerst werden viel­ver­sprechende Legierungs­zusammen­setzungen auf Basis eines tiefen generativen Modells gefunden, das unüber­wachtes Lernen mit stochas­tischen Stichproben kombiniert. Im nächsten Schritt werden diese Zusammen­setzungen mithilfe eines zweistufigen Regressions­modells überprüft, nach dem etwa zwanzig vorgeschlagene Zusammen­setzungen übrig­bleiben.

Von diesen Zusammen­setzungen wird eine Rangfolge ermittelt und die drei besten Kandidaten werden experimentell verarbeitet und charakterisiert. „Wir führen die Modell-Vorhersagen, die theoretischen Berechnungen und die experimentelle Überprüfung in einem zirkulären Framework zusammen. In nur sechs Iterationen haben wir erfolgreich zwei finale neuartige Invar-Legierungen mit verbesserten thermischen Ausdehnungs­eigen­schaften identi­fiziert“, sagt Hongbin Zhang von der TU Darmstadt.

„Modelle für maschinelles Lernen haben ganz erstaunliche Erfolge erzielt, wenn praktisch unbegrenzte Datenmengen verfügbar sind, beispiels­weise bei Videospielen oder wenn sie an fast einem Drittel der im Internet vorhandenen Inhalte trainiert werden. Viel schwieriger ist es dagegen, Anwendungs­fälle zu finden, bei denen künstliche Intelligenz einen Unterschied in der realen Welt ausgemacht hat – wie dies hier der Fall ist“, sagt Stefan Bauer vom KTH Royal Institute of Technology. „Es ist sehr spannend, dass die Vorhersagen nicht nur in der Simulation getestet wurden, sondern dass neue Legierungen physisch hergestellt und geprüft wurden.“ Die Wissen­schaftler werden sich nun schwerpunkt­mäßig mit magnetischen Materialien und Magnetismus beschäftigen und die dazu nötigen Framework-Schritte entwickeln.

MPIE / RK

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