10.12.2021

Mehr Sachlichkeit in der Krise!

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft unterstützt den „Aufruf zu mehr Sachlichkeit in Krisensituationen“ der Allianz der Wissenschaftsorganisationen.

Eine promovierte Physikerin und zwei promovierte Physiker auf der Titelseite einer Tageszeitung könnten eine erfreuliche Würdigung der Wissenschaft darstellen. Die BILD-Zeitung machte ihre Ausgabe vom 4. Dezember mit Bildern der Physikerin Viola Priesemann sowie der Physiker Dirk Brockmann und Michael Meyer-Hermann auf – mit der Überschrift „Die Lockdown-Macher“ und dem Untertitel „Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest“.

Dies führte umgehend zu protestierenden Stellungnahmen der Universitäten bzw. Institute, denen die Forschenden angehören. Alle drei haben sich bei der Erforschung der Ausbreitung von Infektionskrankheiten einen Namen gemacht und sind in dieser Funktion auch mit Gutachten und Empfehlungen für die Politik an die Öffentlichkeit getreten. Die DPG zeichnete Viola Priesemann, die am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen forscht, mit der diesjährigen Medaille für naturwissenschaftliche Publizistik aus. Damit würdigte sie die Wissenschaftlerin für ihr herausragendes Engagement, wissenschaftliche Erkenntnisse zur Corona-Pandemie in den Medien zu vermitteln.

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen (1) positionierte sich deutlich zur aktuellen Berichterstattung der BILD-Zeitung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und erklärte: „Die BILD-Zeitung setzt mit dem Beitrag 'Die Lockdown-Macher' vom 4. Dezember 2021 ihre im vergangenen Jahr begonnene einseitige Berichterstattung gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fort, die ihre fachliche Expertise in den Dienst von Politik und Gesellschaft stellen, um der Coronavirus-Pandemie und ihren gerade in diesen Tagen dramatisch sichtbaren Folgen zu begegnen.“

Die Weise, auf die hier einzelne Forscherinnen und Forscher zur Schau gestellt und persönlich für dringend erforderliche, aber unpopuläre Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung verantwortlich gemacht werden („Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest“), sei diffamierend, heißt es in der Stellungnahme. Damit ist auch die Furcht vor einem Meinungsklima verbunden, dass dazu beitragen kann, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bedroht oder sogar physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sehen.

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft kritisiert aufs Schärfste die in dem Artikel der BILD-Zeitung erfolgte Diffamierung von Wissenschaftler:innen und unterstützt den Aufruf der Allianz der Wissenschaftsorganisationen: Die DPG stehe fest an der Seite der betroffenen Personen und begrüße nicht nur deren wissenschaftliche Beiträge zum Verständnis der COVID-19-Pandemie, sondern schätze in besonderem Maße das gesellschaftliche Engagement dieser Kollegen bei der Vermittlung ihrer Erkenntnisse an die Öffentlichkeit, heißt es im Pressestatement der DPG.

„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liefern der Gesellschaft wichtige Erkenntnisse, die bei der Bewältigung komplexer gesellschaftlicher Herausforderungen wie der derzeitigen COVID-19-Pandemie helfen. Einzelne Personen aus der Wissenschaft für die Folgen von in Parlamenten beschlossenen Maßnahmen persönlich verantwortlich zu machen, wie es nun die BILD-Zeitung getan hat, ist völlig inakzeptabel“, sagt DPG-Präsident Lutz Schröter und ergänzt: „Wir müssen hier zusammenstehen. Auch in anderen Bereichen wie etwa der Klimaforschung sehen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht mehr nur der Faktenverweigerung, -verdrehung oder -relativierung gegenüber, sondern werden oft auch persönlich angegangen. Es ist gut, dass die bedeutendsten Wissenschafts- und Forschungsorganisationen in Deutschland jetzt einmal ein deutliches Zeichen dagegensetzen.“

Gegen den Beitrag und besonders gegen dessen Überschrift hatte die Humboldt-Universität nach eigenen Angaben Beschwerde beim Deutschen Presserat eingereicht. Der Deutsche Presserat prüft mittlerweile eine Sammelbeschwerde mehrerer Wissenschaftler gegen BILD und BILD.DE zum Artikel „Die Lockdown-Macher“.

„Insgesamt liegen uns dazu 84 Beschwerden vor“, bestätigte Sonja Volkmann-Schluck, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Presserat. „Die Beschwerdeführer kritisieren, es werde der falsche Eindruck erweckt, dass Wissenschaftler Corona-Maßnahmen beschließen, für die aber die Politik verantwortlich sei. Dies schüre Verschwörungstheorien und sei zudem ein Aufruf zur Hetze gegen Wissenschaftler.“

Der Deutsche Presserat prüft jetzt, ob er ein Verfahren gegen BILD und BILD.DE einleitet. Dabei geht es um die Frage, ob die Redaktion ihrer Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex nachgekommen ist bzw. ob die Berichterstattung dem Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex entspricht.

DPG/Allianz der Wissenschaftsorganisationen/Presserat/Alexander Pawlak
 

(1) Mitglied der Allianz der Wissenschaftsorganisationen sind die Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Wissenschaftsrat.

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