21.09.2022

Meereis ganzjährig aus dem All vermessen

Einsatz künstlicher Intelligenz ermöglicht die Bestimmung des arktischen Meereises per Satellit auch im Sommer.

Die Arktis hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich schneller erwärmt als der Rest der Welt – mit Folgen für das Meereis. Um zu erfassen, wie dick die Eismassen in der Nordpolar­region sind, nutzen Forscher vor allem Satelliten. Diese Methode stößt im Sommer allerdings an ihre Grenzen, da Schmelz­prozesse an der Eisober­seite die Messungen aus dem All erschweren. Ein internationales Team mit Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts hat nun ein Verfahren entwickelt, das erstmals ermöglicht, die Veränderungen der arktischen Meereisdicke für die Jahre 2011 bis 2021 zu bestimmen – auch in den Sommer­monaten. Die Daten sind von besonderer Bedeutung für die Schifffahrt in der Arktis und werden die Qualität von Wetter- und Eisvorhersagen deutlich verbessern.

 

Abb.: Arktisches Meereis (Bild: E. Horvath / AWI)
Abb.: Arktisches Meereis (Bild: E. Horvath / AWI)

Seit den 1980er Jahren werden Satelliten eingesetzt, um die Dicke des Eises in der Arktis zu messen. Aber die Technik funktioniert nur im arktischen Winter, von Oktober bis April, wenn Eis und Schnee kalt und trocken sind. „In den Sommer­monaten werden die Satelliten von Tümpeln aus Schnee und Schmelzwasser geblendet, die sich auf der Meereis­oberfläche sammeln“, sagt Jack Landy, Erstautor der Studie vom Fachbereich Physik und Technologie der Universität Tromsø (UiT). „Sie können dann nicht mehr zwischen schmelzendem Eis und Wasser unterscheiden.“ Wissen über die Dicke des Meereises im Sommer sei aber wichtig, um Prognosen für das künftige Wetter und Klima zu erstellen und Sicherheitsrisiken für Projekte und Schifffahrt in der Arktis zu verringern.

Deshalb hat das Forschungsteam unter Leitung von Landy mit Hilfe von künstlicher Intelligenz frühere Daten von Satelliten untersucht, um zu sehen, wann sie Eis und wann sie Ozean registrieren. Mit Hilfe einer Deep-Learning-Methode und numerischen Simulationen ist es ihnen erstmals gelungen, aus diesen Daten die Eisdicke auch während der Schmelzphase in den Sommer­monaten aus dem Weltall hinreichend genau zu bestimmen. So entstand ein Datensatz, der zum ersten Mal die Dicke des Meereises in der gesamten Arktis und über ein ganzes Jahr hinweg zeigt.

Mit Vergleichsmessungen konnte die Gruppe abschätzen, wie genau die neu entwickelte Methode ist. Ein Großteil dieser Daten stammte aus den IceBird-Kampagnen des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Mit den Polarfliegern des AWI sammeln wir Informationen über die Zusammensetzung und die Eigenschaften des arktischen Eises und seine Veränderungen im Laufe der Zeit“, sagt Thomas Krumpen, Klima­wissenschaftler am AWI und Mitautor der Studie. „Die Flugzeug­messungen sind sehr genau und decken große Bereiche ab. Sie eignen sich daher besonders für die Validierung.“

Die neuen Satellitendaten zur Eisdicke im Sommer sollen nun in Meereis­vorhersagen eingesetzt werden, um deutlich früher genauere Aussagen über die Eisausdehnung und das Eisvolumen im Sommer treffen zu können. „Mit den ganzjährigen und arktisweiten Daten bekommen wir ganz neue Einblicke in die Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre und Ozean“, so Thomas Krumpen. Auch für die Schifffahrt in der Arktis und für künftige Wetter- und Klima­vorhersagen seien die Ergebnisse von großer Bedeutung: „Mit den neuen Satellitendaten sind wir endlich in der Lage, Meereis­vorhersagen auf der Grundlage der Eisdicke zu treffen, und zwar nicht nur für den Winter, sondern auch für den Sommer. Das wird die Sicherheits­risiken für Schiffe und Fischerboote verringern“, sagt Jack Landy. „Wir können vorhersagen, ob an einem bestimmten Ort im September Eis vorhanden sein wird oder nicht, indem wir die Eisdicke im Mai messen.“ Laut Mitautor Michel Tsamados vom University College London können die neuen Daten nicht nur die kurzfristigen Vorhersagen für das Wetter in den mittleren Breiten verbessern, sondern auch die langfristigen Prognosen für das künftige Klima.

AWI / DE

 

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