29.09.2020 • Materialwissenschaften

Maßgeschneiderte elektronische Materialien

Eigenschaften von Strontium-Iridium-Oxid-Filmen lassen sich durch Verzerrung gezielt einstellen.

Für zukünftige magnetische Daten­speicher suchen Wissen­schaftler nach geeigneten Materialien mit Eigen­schaften, die sich möglichst wunsch­gemäß einstellen lassen. Forscher des Paul-Scherrer-Instituts in der Schweiz haben jetzt grund­legende Erkennt­nisse über ein viel­ver­sprechendes Material gewonnen. In ihren Experi­menten mit dem Strontium-Iridium-Oxid Sr2IrO4 unter­suchten sie gleich­zeitig den Magnetismus sowie die elektro­nischen Eigen­schaften von dünnen Material­filmen und analy­sierten, wie sich diese Eigen­schaften durch Verzerrung der Filme gezielt einstellen lassen.

Abb.: Thorsten Schmitt (links) und Milan Radovic an ihrer...
Abb.: Thorsten Schmitt (links) und Milan Radovic an ihrer Experi­mentier­station an der Synchrotron-Licht­quelle Schweiz. Hier haben sie ihre Messungen an dünnen Filmen aus Strontium-Iridium-Oxid durch­ge­führt. (Bild: M. Fischer, PSI)

„Das Stichwort unserer Forschung heißt Spintronik“, sagt Thorsten Schmitt, Leiter der PSI-Forschungs­gruppe für Spektro­skopie neuartiger Materialien. Die Spintronik nutzt nicht nur die elektrische Ladung des Elektrons, sondern auch seinen Spin, um bessere elektronische Bauteile zu entwickeln. Anwendungen der Spintronik gibt es bereits heute in Festplatten. Dabei kommen bislang Materialien zum Zug, die normal magnetisch sind – Ferromagnete wie Eisen oder Nickel, bei denen die Spins parallel zueinander ausgerichtet sind. Das Problem: Ferro­magnetische Bits müssen relativ weit ausein­ander­liegen, damit sie sich nicht gegen­seitig stören.

Besonders viel versprechen sich die Experten daher vom Einsatz anti­ferro­magne­tischer Materialien, bei denen die Spins in entgegen­gesetzte Richtungen weisen. Anti­ferro­magnete sind deshalb von außen betrachtet magnetisch neutral. Ein anti­ferro­magne­tisches Bit würde darum seine Nachbarn nicht stören. „Diese Bits ließen sich daher enger packen, wir hätten also mehr Daten auf dem gleichen Raum“, sagt Schmitt. „Außerdem ließen sich diese Daten schneller ein- und auslesen.“

Das untersuchte Strontium-Iridium-Oxid ist ein solches anti­ferro­magne­tisches Material. Es handelt sich um einen Kristall, innerhalb dessen Iridium- und Sauerstoff-Atome winzige Oktaeder bilden. Die Forscher bezeichnen dies als Perowskit-Struktur. Es ist ein ideales Material, um seine funktio­nalen Eigen­schaften gezielt zu manipulieren.

Um solche Manipulationen durch­zu­führen und mehr über die Eigen­schaften des viel­ver­sprechenden Materials zu erfahren, brachten die Forscher eine dünne, kristalline Sr2IrO4-Schicht jeweils als Hauptfilm auf verschiedene kristalline Träger­materialien auf. Der Trick dabei: Das Träger­material sorgt dafür, dass die Kristall­struktur des aufge­tragenen Films verzerrt wird. „Es ist, als ob wir unser Material auf der Ebene der Atome ziehen oder zusammen­drücken würden“, erklärt Schmitt. In der Folge verdrehen und verschieben sich die Perowskit-Oktaeder leicht gegen­ein­ander. Das schließlich führt dazu, dass sich die Eigen­schaften des Materials als Ganzes verändern.

Der Clou: Mit dieser Methode lassen sich die magnetischen und elektronischen Eigen­schaften des Materials gezielt und besonders fein einstellen. Und da in elektro­nischen Komponenten diese Art Materialien ohnehin in Form dünner Filme verwendet werden, liegen Anwendungen in diesem Bereich nahe.

Um ihre Materialproben detailliert zu unter­suchen, verwendeten die Forscher eine spezielle Röntgen­technik, die am PSI entscheidend weiter­ent­wickelt wurde, die resonante inelastische Röntgen­streuung RIXS. Mit RIXS führten die Forscher Experimente mit weichem Röntgenlicht durch. Weitere Präzisions­messungen mit harter Röntgen­strahlung an der European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble und der Advanced Photon Source in Argonne in den USA ergänzten die Arbeiten.

„Mit vielen Methoden schaut man sich entweder den Magnetismus oder die elektro­nischen Eigen­schaften genau an“, erklärt Schmitt. „Mit RIXS dagegen können wir beide Eigen­schaften in der gleichen Messung unter­suchen und somit direkt mit­ein­ander in Relation setzen. Kurz gesagt: Wir haben ein globales Bild unserer Probe angestrebt und auch erhalten.“ Unter anderem konnten die Forscher nach­voll­ziehen, wie sich die elektro­nischen Eigen­schaften ändern, wenn das Kristall­gitter des Sr2IrO4-Films verzerrt wird, und wie diese Dynamik mit der Änderung des Magnetismus gekoppelt ist. Beides geht Hand in Hand – und liefert wichtige Erkennt­nisse für poten­zielle Anwendungen.

Konkret konnte die Gruppe das Strontium-Iridium-Oxid so modifizieren, dass die magnetischen Eigen­schaften ähnlicher zu einer anderen Klasse spannender Materialien werden, den Hoch­temperatur-Supra­leitern aus Kupfer­oxiden, auch Kuprate genannt. Diese weisen ebenfalls eine perowskit­ähnliche Struktur auf. In ihrem Experiment zogen und verdrehten die Forscher den Sr2IrO4-Film so, dass sich die Abstände der Kristall­gitter­struktur vergrößerten und sich zusätzlich eine Rotation einstellte.

„So ist es uns gelungen, das Material einem Kuprat ähnlicher zu machen“, sagt Schmitt. „Allerdings hat man damit noch lange keinen neuen Supra­leiter.“ Auch bis die aktuellen Erkennt­nisse zu neuen Anwendungen in der Daten­speicherung führen könnten, dürften seiner Meinung nach noch zehn oder zwanzig Jahre vergehen. „Unsere Aufgabe sind Grund­lagen­studien, die aber von immenser Wichtig­keit sind, um bei der Entwicklung von neuen Materialien die entscheidenden Schritte in die richtige Richtung zu machen.“

PSI / RK

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