02.12.2020

Kühlen mit Druck und Magneten

Magnetische Formgedächtnis-Legierungen als Basis für eine neuartige Kühltechnik.

Ein internationales Team der Universität Barcelona, des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossen­dorf und der Technischen Universität Darmstadt arbeiten an effizienteren und umwelt­schonenden Kälte­verfahren der Zukunft. Dazu haben sie näher untersucht, wie bestimmte Legierungen reagieren, wenn sie gleichzeitig einem Magnetfeld und einer mechanischen Belastung ausgesetzt werden.

Abb.: Illustration einer Kühlung auf der Basis des magneto­kalorischen...
Abb.: Illustration einer Kühlung auf der Basis des magneto­kalorischen Effekts. (Bild: Juniks, HZDR)

Bisher hatten sich die Forscher hauptsächlich mit dem magneto­kalorischen Effekt befasst, den sie beobachten, wenn sie bestimmte Metalle und Legierungen einem Magnetfeld aussetzen: Diese Materialien ändern spontan ihre magne­tische Ordnung und dabei auch ihre Temperatur. Sie gelten deshalb als aussichts­reiche Kandidaten, um magnetische Kühlkreisläufe zu etablieren. „Seit kurzem ist bekannt, dass sich dieser Effekt bei bestimmten Materialien noch beträchtlich steigern lässt, wenn wir neben dem Magnetfeld gleichzeitig noch andere Stimuli ins Spiel bringen, zum Beispiel ein Kraftfeld, oder ganz konkret, eine mechanische Belastung“, sagt Tino Gottschall vom Hochfeld-Magnet­labor am HZDR. Von solchen multi­kalorischen Materialien ist bereits eine kleine Palette bekannt.

Das Team wählte mit einer speziellen Nickel-Mangan-Indium-Legierung eine der vielver­sprechendsten Verbindungen für seine Versuche aus. Sie gehört zu den magnetischen Form­gedächtnis-Legierungen. Ihr Gedächtnis speist sich aus der Umwandlung zweier Kristall­gitter: Bei einem äußeren Anreiz wie dem Anlegen eines Magnetfelds gehen diese Strukturen ineinander über; deutlich wahr­nehmbare Verformungen sind dabei keine Seltenheit. Der Clou der ausgewählten Verbindung ist jedoch, dass bei einer bestimmten Temperatur, die den Übergang der Kristall­strukturen ineinander ebenso auslösen kann, sich auch die magne­tischen Eigenschaften der Verbindung schlagartig ändern: Struktur und Magnetismus dieser Legierung sind ausgeprägt miteinander gekoppelt.

Um die für die Beurteilung einer effizienten Kühlprozess­führung notwendigen Stoff­eigenschaften zu ermitteln, musste das Team in Barcelona zunächst ein eigens dafür ausgelegtes, weltweit einzig­artiges Kalorimeter zur Wärmemessung entwickeln, in dem gleichzeitig ein Magnetfeld angelegt und Druck auf die Probe ausgeübt werden kann. Dazu haben die Wissenschaftler ein aus der Werkstoff­prüfung bekanntes Verfahren für ihre Zwecke angepasst: Sie setzen die Probe einer mechanischen Stauchung entlang einer Achse aus. Während die magnetischen Flussdichten bis sechs Tesla reichten, betrug die maximal eingesetzte Druckspannung moderate fünfzig Megapascal. „Viele Menschen schaffen das sogar mit einer Hand. Gerade dieser Punkt ist entscheidend für eine spätere Anwendung, denn mechanische Belastungen in solch überschaubaren Größen­ordnungen sind relativ leicht umzusetzen“, sagt Lluís Mañosa von der Universität Barcelona. „Die Heraus­forderung für uns bestand darin, eine genaue Messung sowohl der Druck­spannung als auch der Dehnung in unser Wärmemessgerät zu integrieren, ohne dadurch die Messbedingungen zu verfälschen.“

Richtig komplex gestaltete sich die Auswertung der erzielten Ergebnisse. Die Forsche erfassten gleich­zeitig verschiedene Parameter wie Temperatur­änderung, magnetische Flussdichte, Druckspannung und Entropie der Legierung während programmierter Abkühl- und Aufheizphasen nahe einer material­spezifischen Temperatur, bei der Umwandlungen im Kristall­gitter zu einer Änderung der Magneti­sierung führen. Bei der verwendeten Legierung erfolgt dieser Vorgang bei Raumtemperatur, was ebenfalls vorteilhaft für eine spätere praktische Anwendung ist. Die Messungen bilden das Verhalten der Probe in einem vier­dimensionalen Raum ab. Um diesen sinnvoll karto­graphieren zu können, sind eine Vielzahl von Experimenten notwendig, die zu umfangreichen Mess­kampagnen führen. Für Oliver Gutfleisch von der TU Darmstadt ein vertretbarer Aufwand: „Das Zusammen­spiel der verschiedenen Stimuli bei multi­kalorischen Materialien ist bisher kaum erforscht. Unsere Nickel-Mangan-Indium-Legierung ist dabei die bisher noch am besten untersuchte, prototypische Verbindung dieser Materialklasse. Wir haben mit unserer Arbeit weiße Flecken auf ihrer Eigen­schafts-Landkarte gefüllt.“

Nun können die Wissen­schaftler den Nutzen einer zusätz­lichen Druck­belastung ganz pragmatisch einschätzen – eine zentrale Fragestellung des ERC Advanced Grant-Projektes Cool Innov. Würden sie zum Beispiel einen Kühlzyklus mit handels­üblichen Neodym-Dauer­magneten und ihrer Legierung umsetzen, ließe sich die Kühlwirkung durch das gleichzeitig anliegende Kraftfeld verdoppeln. Das Team geht davon aus, dass sich das neue Verfahren auch bei der Suche nach anderen aussichts­reichen Kühlmaterialien für die Zukunft bewähren wird.

HZDR / JOL

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