10.09.2019 • Materialwissenschaften

Kristall und Supraflüssigkeit zugleich

Forscher weisen erstmals zweifelsfrei Suprafestkörper nach.

Im Alltag kennt man drei Aggregatszustände von Materie - fest, flüssig und gasförmig. Kühlt man Materie extrem ab, entstehen auch andere Aggregat­zustände wie Supra­flüssig­keiten, in denen sich die Atome widerstandslos und reibungsfrei bewegen können. Auf atomarer Ebene kommt dabei die Quanten­mechanik ins Spiel: Einzelne Teilchen wie Atome oder Elektronen können sich überlagern und so beispiels­weise unvorher­sehbar und zufällig an zwei verschiedenen Orten auftauchen. Theoretisch ist es auch möglich, dass ganze Aggregat­zustände wie etwa fest oder flüssig zu neuen Aggregat­zuständen mit neuen Eigen­schaften überlagert werden. Ein Supra­festkörper ist ein solcher Über­lagerungs­zustand und besteht aus der kristallinen Struktur eines Festkörpers und einer Supra­flüssigkeit. Ein Teilchen könnte daher nun unvorher­sehbar und zufällig Teil des Kristalls oder der Supra­flüssigkeit sein. Einem Team um Tilman Pfau und Tim Langen von der Uni Stuttgart gelang nun erstmals der experi­mentelle Nachweis, dass dieser lange vorhergesagte Zustand der Materie tatsächlich existiert.

Abb.: Mit diesem experimentellen Aufbau gelang es den Forschern mit Lasern und...
Abb.: Mit diesem experimentellen Aufbau gelang es den Forschern mit Lasern und magnetischen Feldern den Suprafestkörper aus Dysprosium-Atomen zu erzeugen. (Bild: W. Scheible, U. Stuttgart)

Der von den Forschern erzeugte Suprafestkörper besteht aus Dysprosium-Atomen, die sich wie kleine Magnete verhalten. Im Experiment werden die Atome bis nahe zum absoluten Nullpunkt abgekühlt. Dort spielen zwei Arten der Wechsel­wirkung zwischen den Atomen eine Rolle: Kommen sich zwei Atome sehr nahe, stoßen sie wie Billard­kugeln zusammen. Gleich­zeitig können sie sich aufgrund der magnetischen Wechsel­wirkung aber auch über längere Distanzen anziehen oder abstoßen. Um einen Supra­festkörper zu erzeugen, tarieren die Forscher das Verhältnis zwischen diesen beiden Kräften so aus, dass sich gleich­zeitig eine kristalline Gitter­struktur und die Supra­fluidität ausbilden.

„Die periodische Kristallbildung konnten wir direkt optisch feststellen und die quanten­mechanische Über­lagerung durch Inter­ferenz­experimente testen“, erklären die Team-Mitglieder Mingyang Guo und Fabian Böttcher ihre Messungen. Der endgültige Nachweis, dass es sich bei der im Experiment erzeugten Materie tatsächlich um einen Supra­festkörper handelt, gelang dem Team durch die Unter­suchung von zwei Arten von Schall­wellen, die mit verschiedenen Schall­geschwin­dig­keiten durch den Supra­festkörper laufen. Solche Schall­wellen breiten sich in verschiedenen Materialien sehr unter­schiedlich aus – in der Luft ist der Schall zum Beispiel viel langsamer als im Wasser. Diesen normalen Schall gibt es auch im Supra­festkörper. Weil der Supra­festkörper gleich­zeitig fest und flüssig ist, lässt sich aber auch eine charak­te­ristische zweite Form von Schall­wellen beobachten, bei denen sich der Kristall und die Supra­flüssigkeit jeweils genau entgegen­gesetzt bewegen. Dadurch entstehen Schall­wellen mit einer sehr geringen Geschwindigkeit, was die Forscher im Experiment erstmals beobachten konnten.

Immer wieder sind in den letzten Jahren Beobachtungen eines Supra­festkörpers gemeldet worden. Später stellte sich aber stets heraus, dass keine zwei Schallarten gemessen wurden. „In diesem weltweiten Wettrennen ist es uns jetzt zum ersten Mal gelungen, alle drei Bedingungen für einen supra­soliden Zustand in einem Experiment mit ultra­kalten Dysprosium-Atomen zu demonstrieren“, betont Pfau. Die Experimente des Teams eröffnen damit erstmals die Möglichkeit, die exotischen Eigen­schaften von Supra­festkörpern detailliert zu unter­suchen.

U. Stuttgart / RK

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