30.01.2019

Kraftsensor für Mikroben

Neuer Mikropipetten-Sensor misst bis auf zehn Pikonewton genau.

Kräfte, die von einer lebenden Zelle oder einem Mikro­organismus ausgeübt werden, sind winzig und meist nicht größer als einige Nano­newton. Dennoch reichen für Zellen und Mikroben solche Kräfte aus, um an einer Ober­fläche anzuhaften oder sich in Richtung der Nährstoffe zu bewegen. Wissen­schaftler vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbst­organisation in Göttingen sowie von der finnischen Aalto Uni­versity in Espoo bei Helsinki stellen nun mit Mikropipetten-Kraft­sensoren eine vielseitige Technik vor. Mit diesen Sensoren können Kräfte einer großen Bandbreite verschie­denster Mikro­organismen gemessen werden.

Abb.: Ein hochpräzise messender Mikropipetten-Kraftsensor unter dem optischen...
Abb.: Ein hochpräzise messender Mikropipetten-Kraftsensor unter dem optischen Mikroskop. (Bild: O. Bäumchen, MPIDS)

Um am Leben zu bleiben und sich auszu­breiten passen sich Zellen und Mikro­organismen sehr erfolg­reich an ihre Umgebungs­bedingungen an. Diese Fähigkeit beruht unter anderem auf physi­kalischen Prinzipien und mecha­nischen Kräften: Zellen können sich beispiels­weise an Oberflächen oder anderen Zellen anhaften, um einen Biofilm zu bilden. Dieser Biofilm schützt die Zellgemeinschaft vor Angriffen von außen. Viele Mikro­organismen können sich darüber hinaus aktiv bewegen, etwa durch Kriech­bewegungen auf einer Oberfläche oder Schwimm­bewegungen in einer Flüssigkeit, um beispiels­weise Nährstoff­quellen zu erreichen. Wollen Wissen­schaftler verstehen, wie sich Mikroben bewegen oder an einer Oberfläche anhaften, müssen sie die entsprechenden mecha­nischen Kräfte messen können.

„Das Arbeits­prinzip der Mikro­pipetten-Kraft­sensor-Technik ist eigentlich ganz einfach: durch das Betrachten der Auslenkung einer kali­brierten Mikro­pipette können die Kräfte, welche auf die Pipette wirken, direkt gemessen werden.“, sagt Matilda Backholm, Wissen­schaftlerin im Fachbereich Angewandte Physik der Aalto University in Finnland. Einer der heraus­ragenden Vorteile der Methode ist die Tatsache, dass sie für eine Fülle verschiedener biolo­gischer Systeme angewandt werden kann, von einer einzelnen Zelle bis zu Milli­meter großen Mikro­organismen. „Wir zeigen die Viel­seitigkeit unserer Methode beispielhaft an zwei Modellorganismen aus der Mikrobiologie, den Fadenwurm Caenorhabditis elegans und die Mikroalge Chlamydomonas reinhardtii. Wir sind der festen Überzeugung, dass diese Technologie in Zukunft auch an vielen anderen biolo­gischen Systemen Anwen­dungen finden wird“, sagt Oliver Bäumchen, Forschungs­gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen.

„Mit unserer Idee, die hinter dieser Methode steckt, wollen wir die Vorteile verschiedener etablierter biophysika­lischer Methoden miteinander kombi­nieren: Wir greifen eine lebende Zelle auf die gleiche Weise wie in der In-vitro-Ferti­lisation und messen die mechanischen Kräfte mit Hilfe der Auslenkung der Mikro­pipette, entsprechend der Messprinzipien der Rasterkraft­mikroskopie, einer Standardmesstechnik in der Physik“, sagt Bäumchen. Backholm stellt einen weiteren Vorteil der Methode heraus: „Im Gegensatz zu den meisten anderen Kraftmess­methoden, messen wir die Auslenkung des Sensors mit einem modernen optischen Mikroskop. Dadurch können wir die Form und die Bewegung des Mikro­organismus genau studieren, während wir zeitgleich die Kräfte messen können.“ Während der ganzen Zeit ist die Zelle beziehungs­weise der Mikro­organismus am Leben, so dass die Reaktion auf Medikamente sowie Nährstoffe, Temperatur oder andere Umwelt­faktoren getestet werden kann. „Die Kraft­auflösung ist wirklich bemerkens­wert. Durch unsere neuesten techno­logischen Weiter­entwicklungen ist es uns gelungen, Kräfte von bis zu zehn Pikonewton zu messen. Damit ist die Technik fast genauso gut wie ein Raster­kraftmikroskop.“, sagt Bäumchen.

Die Wissen­schaftler erwarten, dass diese Technik in Zukunft auch in anderen Forschungs­labors zur Anwendung kommen wird, um damit wichtige bio­physikalische Frage­stellungen im Hinblick auf unser Verständnis biolo­gischer Funktionen von Zellen und Mikroben sowie der zu Grunde liegenden physika­lischen Prinzi­pien zu beantworten. Die Physiker Backholm und Bäumchen stellen heraus, dass diese Forschungs­richtungen auch biomedizinische und biotechno­logische Anwendungen mit sich bringen könnten: „Die Mikro­pipetten-Kraft­sensor-Technik könnte dazu beitragen, Medikamente zu entwickeln um bakterielle Infektionen zu bekämpfen oder die Bildung bak­terieller Biofilme auf medi­zinischen Implan­taten zu verhindern, um nur einige mögliche Beispiele zu nennen, für welche diese Methode einen wichtigen Beitrag leisten könnte.“

MPIDS / JOL

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