09.07.2021

Kontaktlinse für das Ohr

Schwingungen werden ohne Luftschall direkt auf die Gehörknöchelchen übertragen.

Etwa 15 Millionen Deutsche sind schwerhörig, schätzt der Deutsche Schwer­hörigenbund. In vielen Fällen können Hörhilfen das Hör­vermögen verbessern und den Alltag der betroffenen Menschen erleichtern. Bei gängigen Hörgeräten sitzt der Lautsprecher im Gehörgang des Trägers. Daraus resultierende akustische Verzerrungen können die Klangqualität beeinträchtigen. Das Mikrofon befindet sich hinter dem Ohr und ist dadurch anfällig für Störgeräusche wie etwa Wind. Mit einer inno­vativen Hörhilfe will das Mannheimer Start-up Vibrosonic diesen Nachteilen entgegen­wirken. Dominik Kaltenbacher und Jonathan Schächtele, ehemals Wissenschaftler der Fraunhofer-Projekt­gruppe PAMB, und& Ernst Dalhoff von der Uni-HNO-Klinik Tübingen haben das Unternehmen im Jahr 2016 ausgegründet. 

Abb.: Die Kontakt­linse im Ohr und das Gehörgangs­modul werden mit dem...
Abb.: Die Kontakt­linse im Ohr und das Gehörgangs­modul werden mit dem Klang­prozessor, der hinter dem Ohr getragen wird, verbunden. (Bild: Vibrosonic)

Die erste zerti­fizierte Hörlösung – Vibrosonic alpha – besteht aus drei Komponenten: der Hörkontakt­linse, einem Gehörgangs­modul und einem Hinter-dem-Ohr-Modul. Hörkontakt­linse und Gehörgangs­modul verbleiben fest im Gehörgang, das Hinter-dem-Ohr-Modul kann flexibel abgenommen werden. Mit der Hörkontaktlinse sitzt der Lautsprecher nicht im Gehörgang, sondern auf dem Trommelfell. Schwingungen überträgt sie ohne Luftschall direkt auf die Gehörknöchelchen. Die Klang­übertragung erfolgt durch direkte mechanische Stimu­lation des Gehörs. Dadurch kann das natürliche Hören weitgehend nach­empfunden werden. Das System ist in der Lage, Klänge im gesamten hörbaren Frequenzbereich von unter achtzig Hertz bis deutlich über zwölf Kilohertz zu verstärken.

Aufgrund der Unterschiede in der Trommelfell­form wird die Hörkontakt­linse für jeden Patienten indi­viduell hergestellt. Dazu wird ein piezo­elektrischer Mikrolaut­sprecher in eine Silikonform eingegossen. „Da unsere Hörkontakt­linse direkt auf dem Trommelfell getragen wird – wie eine Kontaktlinse auf dem Auge – können sehr tiefe und besonders hohe Töne sehr gut verstärkt und störende Geräusche durch Rück­kopplungen prinzipbedingt weitgehend vermieden werden. Die tiefen Töne sind beispielsweise beim Genuss von Musik entscheidend, weil der Klang dadurch satter wird. Hohe Töne gut hören zu können, ist für das Sprach­verstehen wichtig, denn die codierten Obertöne machen den Charakter einer Stimme aus“, sagt Dominik Kaltenbacher.

Bei hochgradiger Schwer­hörigkeit oder extremer Minia­turisierung stoßen herkömmliche Hörgeräte aufgrund von Rückkopplungs- und Verzerrungseffekten an ihre Grenzen – verursacht durch Leistungsgrenzen der seit jeher verwendeten Spulen-Lautsprecher. „In der Hörkontakt­linse verwenden wir den weltweit ersten Hörgeräte­lautsprecher, der konsequent mit den Methoden der Mikrosystemtechnik entwickelt und realisiert wurde. Einzelne Strukturen des Vibrosonic-Aktors sind tausendmal kleiner als die Dicke eines menschlichen Haars. Trotz kleinster Abmessungen verfügt er über überragende audio­logische Eigenschaften“, sagt Kaltenbacher. Erste Studien mit wenigen Probanden haben gezeigt, dass das System das Klang­erlebnis von Menschen mit leichter bis mittel­gradiger Hörschädigung verbessern kann. Geplant ist aber, alle derzeitigen Hörsystem­komponenten derart zu minia­turisieren, dass sie im Gehörgang verschwinden und unsichtbar sind.

FhG / JOL

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