05.10.2021 • Nobelpreise

Komplexe Systeme verstehen

Den Nobelpreis für Physik erhalten Klaus Hasselmann, Syukuro Manabe und Giorgio Parisi.

Komplexe Systeme bestehen aus vielen unterschiedlichen Teilen, die miteinander wechselwirken. Dieses Zusammenspiel zu verstehen, zu modellieren und vorherzusagen beschäftigt die Physik in verschiedenen Fachgebieten seit einigen Jahrhunderten. Dabei treten chaotische und zufällige Phänomene auf. Ein Beispiel ist das Klima auf unserer Erde. Für dessen „physikalische Modellierung, die Quantifizierung seiner Schwankungen und die verlässliche Vorhersage der Erderwärmung“ erhalten Klaus Hasselmann und Syukuro Manabe eine Hälfte des Physik-Nobelpreises 2021. Die zweite Hälfte geht an Giorgio Parisi „für die Entdeckung des Zusammenspiels von Unordnung und Fluktuationen in physikalischen Systemen von atomaren bis zu planetaren Skalen“.

Klaus Hasselmann, Syukuro Manabe und Giorgio Parisi (von links) teilen sich den...
Klaus Hasselmann, Syukuro Manabe und Giorgio Parisi (von links) teilen sich den Physik-Nobelpreis 2021 für ihre bahnbrechenden Beiträge zum Verständnis komplexer Systeme. (Bilder: MPI-M / Bengt Nyman / Lorenza Parisi)

Giorgio Parisi (geb. 1948 in Rom, Italien) schloss seine Doktorarbeit 1970 an der Universität La Sapienza in Rom ab. Forschungsaufenthalte führten den theoretischen Physiker in die USA und nach Frankreich, bevor er 1981 seine erste Professur an der Universität Tor Vergata in Rom antrat. 1992 wechselte Parisi als Professor für Quantenphysik an die Universität La Sapienza, der er bis heute als Emeritus verbunden ist. Neben zahlreichen anderen Preisen erhielt er 2011 von der DPG die Max-Planck-Medaille für „seine bedeutenden Beiträge in der theoretischen Elementarteilchenphysik und Quantenfeldtheorie und der statistischen Physik, insbesondere von Systemen mit eingefrorener Unordnung, vor allem Spingläser.“

Die Spins der Eisenatome (rot) in einem Gitter aus Kupferatomen (grün) bilden...
Die Spins der Eisenatome (rot) in einem Gitter aus Kupferatomen (grün) bilden ein frustriertes System. Ausgehend von diesem Spinglas hat Giorgio Parisi an komplexen Systemen geforscht. (Bild: Johan Jarnestad, KVA / Lorenza Parisi)

Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften würdigt seine Arbeiten, mit denen er zeigen konnte, dass auch hinter zufällig erscheinenden Phänomenen versteckte Regeln stecken. So gelang es ihm 1979, Spingläser mathematisch zu beschreiben. Diese komplexen Systeme besitzen ein Gitter aus Kupferatomen, wobei einige Gitterplätze durch magnetische Eisenatome ersetzt sind. Da in der Regel nicht alle Spins aufgrund ihrer Wechselwirkung untereinander den minimalen Energiezustand einnehmen können, ist das System „frustriert“. Parisi gelang eine so fundamentale mathematische Beschreibung dieses frustrierten Zustands, dass sie sich auch auf zahlreiche andere Probleme aus Physik, Mathematik und Biologie sowie Neurowissenschaften und maschinellem Lernen anwenden lässt.

In Manabes Klimamodell beeinflusst die Strahlungsbilanz aus einfallendem...
In Manabes Klimamodell beeinflusst die Strahlungsbilanz aus einfallendem Sonnenlicht und abgestrahltem Infrarot die vertikale Bewegung von Luftmassen. (Bild: Johan Jarnestad, KVA / Bengt Nyman)

Wie wichtig es ist, das Klima und seine Veränderungen bzw. deren Ursachen korrekt zu beschreiben, machen die immer deutlicheren Auswirkungen in den Polarregionen der Erde und die immer häufiger auftretenden Extremwetter-Ereignisse deutlich. Syukuro Manabe entwickelte in den 1960er-Jahren ein physikalisches Modell des Erdklimas. Damit zeigte er, wie ein steigender CO2-Gehalt in der Atmosphäre und höhere Oberflächentemperaturen auf der Erde zusammenhängen.

Außerdem untersuchte er erstmals den Zusammenhang von Strahlungsbilanz und vertikalem Transport von Luftmassen. Manabe (geb. 1931 in Shingu, Japan) promovierte 1957 an der Universität Tokio. Anschließend ging er in die USA und arbeitete bis 1997 in der Abteilung General Circulation Research des U.S. Weather Bureau, dem heutigen Geophysical Fluid Dynamics Laboratory der NOAA. Nach einem längeren Forschungsaufenthalt in Japan kehrte er 2002 in die USA zurück und wirkt seither als Senior Meteorologist an der Princeton University.

Klaus Hasselmann zeigte, dass sich Temperaturänderungen in der Atmosphäre...
Klaus Hasselmann zeigte, dass sich Temperaturänderungen in der Atmosphäre (schwarz) nicht allein durch natürliche Ursachen wie Vulkanausbrüche (blau) erklären lassen, sondern der menschliche Einfluss zu berücksichtigen ist (rot). (Bild: Johan Jarnestad, KVA / MPI-M)

Klaus Hasselmann (geb. 1931 in Hamburg) promovierte 1957 an der Universität Göttingen und habilitierte sich 1963 an der Universität Hamburg. Der Klimaforscher, Meteorologe und Ozeanologe war in den USA und Deutschland tätig, unter anderem in Hamburg als Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie (1975 bis 1999) und als wissenschaftlicher Direktor am Deutschen Klimarechenzentrum (1988 bis 1999). Er entwickelte in den 1970er-Jahren ein stochastisches Klimamodell, das beispielsweise erklärt, warum sich das Klima langfristig vorhersagen lässt, obwohl sich das resultierende Wetter chaotisch verhält. Daneben hat Hasselmann Methoden erstellt, die sogenannte Fingerabdrücke im Klima von natürlichen Phänomenen und menschlichen Aktivitäten identifizieren. Damit ließ sich zeigen, dass die steigenden Temperaturen in der Atmosphäre auf die menschgemachten Emissionen von Kohlendioxid zurückgehen.

Während des jährlichen DPG-Empfangs anlässlich der Bekanntgabe des Nobelpreises für Physik im Magnus-Haus Berlin stellte DPG-Präsident Lutz Schröter fest: „Der Preis an Klaus Hasselmann ist ein weiterer Beleg dafür, wie die deutsche Klimaforschung mit fundamentalen Arbeiten frühzeitig auf den Klimawandel hingewiesen hat.“

Kerstin Sonnabend

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