07.07.2020

Komplexe Muster selbstorganisiert

Neue Methode für Oberflächen mit maßgeschneiderten optischen und mechanischen Eigenschaften.

Wenn man das Bad oder die Terrasse neu fliest und dabei zum Beispiel quadratische, rechteckige oder sechs­eckige Fliesen benutzt, so kommt, wenn man alles richtig macht, ein einfaches und regel­mäßiges Muster dabei heraus. Auf ähnliche Weise können Wissen­schaftler mit winzigen Kügelchen aus verschie­denen Materialien ebenfalls einfache regelmäßige Strukturen herstellen, die nützliche optische oder mechanische Eigen­schaften haben. Diese regel­mäßigen Strukturen ergeben sich von selbst aus dem Wechselspiel der zwischen den Kügelchen wirkenden Kräfte und äußeren Einflüssen, wie etwa einem Druck.

Abb.: Komplexe Anordnung aus Mikro­kügelchen (l.) und das dazu­gehörige...
Abb.: Komplexe Anordnung aus Mikro­kügelchen (l.) und das dazu­gehörige mathe­matische Diagramm, das die Strukturen grafisch verdeutlicht. (Bild: ETHZ)

Seit einiger Zeit versuchen Forscher, komplexere Ausführungen solcher kolloidalen Kristalle zu realisieren. Dies erwies sich aber bislang als schwierig. An der ETH Zürich haben es Lucio Isa und seine Mitarbeiter am Departement für Material­wissenschaften nun geschafft, mit Hilfe eines Tricks simple Mikro­kügelchen dazu zu zwingen, sich zu komplexen kolloidalen Kristallen zusammen­zufinden. „Vereinfacht gesprochen haben wir gezeigt, dass 1 plus 1 nicht unbedingt 2 ergeben muss“, erklärt Isa. Dahinter verbirgt sich eine Technik, mit der die Forscher nur etwa ein Mikrometer große Kügelchen aus weichen Polymer-​Gelen dazu bringen, kompli­ziertere Muster zu bilden, als sie es freiwillig tun würden.

Im Labor sperrten sie dazu Polymer-​Teilchen auf der Oberfläche eines Wasserbades ein, auf dem eine Ölschicht aus Hexan schwamm. Mit Hilfe von verschieb­baren Barrieren kann die Größe der Wasser­oberfläche verringert und die Kügelchen dadurch immer mehr zusammen­gedrückt werden, wodurch sie sich zu kristall­artigen Strukturen anordnen. Während sich diese Strukturen bilden, lagern sie sich auf einer Silizium­unterlage ab, die durch die Wasser­oberfläche gezogen wird. Dadurch werden sie wie mit einem Abzieher eingesammelt. Zum Abschluss entfernen die Forscher die Scheibe aus dem Wasserbad.

„Wiederholt man diesen Vorgang jeweils mit einem frischen Stücke Silizium, so findet man am Ende stets sechseckige Strukturen darauf, auch wenn man die Kügelchen immer höheren Drücken aussetzt und damit stärker komprimiert“, sagt Isa. Benutzt man jedoch statt einer frischen Silizium­unterlage eine bereits benutzte, auf der sich schon eine sechseckige Kristall­struktur aus Mikro­kügelchen befindet, so müssen sich die neuen Kügelchen während der zweiten Ablagerung an zwei Rand­bedingungen orientieren: Zum einen stoßen sie sich gegenseitig ab, während sie von den Barrieren seitlich zusammen­gepfercht werden; zum anderen stoßen sie aber auch gegen die starr auf der Silizium­unterlage ange­ordneten Kügelchen des ersten Durchgangs. Aus dem Zusammenspiel dieser beiden Einflüsse treiben die Kügelchen die der zweiten Schicht die Bildung von Mustern voran, die völlig anders sein können als das erste und auch viel komplexer.

Sieht man sich die beiden Schichten zusammen unter einem hoch­auflösenden Mikroskop genau an, so erkennt man je nach Packungs­dichte der Mikro­kügelchen die verschiedensten Anordnungen: ineinander­greifende S-​förmige Muster, hexagonale Übergitter, oder auch Fischgräten­muster. „Damit haben wir gezeigt, dass man mit einfachen Bausteinen, in unseren Fall kleinen Kügelchen, in zwei Schritten sehr komplexe Anordnungen erzeugen kann“, sagt Isa.

Mit Hilfe von Computer­simulationen konnten er und sein Team zeigen, dass sich die komplexen Muster tatsächlich nur daraus ergaben, dass sich die Kügelchen gegenseitig abstoßen. Insbe­sondere führte dabei die Abstoßung zwischen den Kügelchen der ersten, nunmehr starren Schicht und denen der zweiten zur Frustration. Das bedeutet, dass die beweglichen Kügelchen konnten sich nicht mehr frei arrangieren, sondern mussten das Muster der ersten Schicht berück­sichtigen, auch wenn sie sich unter­einander natürlicherweise anders angeordnet hätten.

Isa sieht in seiner Methode einen wichtigen Schritt in Richtung eines gezielten Designs komplexer selbst­organisierender Strukturen aus einfachen Grundbau­steinen. Die Form der Grundbausteine und der Grad der Kompression können dabei so gewählt werden, dass sich am Ende ein vorher­bestimmtes Muster ergibt. Diese Muster können reguläre Kristalle mit mehr oder weniger komplexen periodischen Gitter­strukturen sein. Isa hofft aber, die Herstellungs­methode auch auf Quasi­kristalle ausdehnen zu können, die zwar eine gewisse lokale Ordnung aufweisen, deren Muster sich aber nicht periodisch im Raum wieder­holen.

Während Isa all das aus rein wissen­schaftlichen Gründen hoch­interessant findet, sieht er auch konkrete Anwendungs­möglichkeiten. So könnten beispiels­weise maßge­schneiderte Oberflächen­muster mit bestimmten optischen Eigen­schaften hergestellt werden oder solche, die ein gewünschtes Benetzungs-​ oder Reibungsv­erhalten aufweisen. Diese könnten dann zur Beschichtung optischer Bauteile oder anderer Materialien verwendet werden.

ETHZ / JOL

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