31.05.2023

Hoffnung auf Atomkernuhr steigt

Erstes Licht vom Zerfall des Thorium-229-Kernisomers gesichtet.

Das radioaktive Element Thorium-229 gilt zurzeit als der einzige Kandidat für die Entwicklung einer Atomkernuhr. Eine solche Uhr wäre noch wesentlich genauer als herkömmliche Atomuhren. Als Taktgeber würden Schwingungen im Atomkern von Thorium-229 dienen, die durch ultraviolettes Licht aus Laserquellen angeregt werden könnten. In einem Forschungs­projekt ist es nun mit einer neuen Methode gelungen, die Anregungs­energie mit wesentlich größerer Genauigkeit als bisher zu bestimmen. Für die Realisierung einer Atomkernuhr stellt dies einen wichtigen Meilenstein dar.

Abb.: In diesem Münchener Labor laufen die Experimente zur Untersuchung des...
Abb.: In diesem Münchener Labor laufen die Experimente zur Untersuchung des Kerns von Thorium-229. (Bild: S. Höck, LMU)

Das Radionuklid Thorium-229 besitzt ein Isomer mit einer ungewöhnlich niedrigen Anregungs­energie, die eine direkte Laser­manipulation von Kernzuständen ermöglicht. Es ist daher einer der Haupt­kandidaten für den Einsatz in optischen Uhren der nächsten Generation. In dieser Hinsicht war das letzte Jahrzehnt durch eine Reihe von experi­mentellen Durchbrüchen gekennzeichnet, wie dem ersten direkten und eindeutigen Nachweis der Existenz des Kernisomers, seiner laser­spektroskopischen Charakterisierung, der Messung seiner Anregungs­energie und dem Pumpen mit Röntgenstrahlen. Für die Entwicklung der optischen Uhr fehlten jedoch noch die Beobachtung des Strahlungs­zerfalls und die genaue Bestimmung der Spektralfarbe des Lichts.

Mithilfe eines neuartigen Ansatzes, bei dem das Isomer in der Isolde-Anlage am Cern mit radioaktiven Ionenstrahlen bevölkert wird, konnten die Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler nun zum ersten Mal den schwer fassbaren Strahlungszerfall des Isomers beobachten und seine Energie und die Zerfalls­konstante mit spektro­skopischen Methoden stark einschränken. Die Experimente wurden von einer internationalen Kollaboration unter Leitung von Wissenschaftlern der KU Leuven in Belgien und mit deutscher Beteiligung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Ludwig-Maximilians-Univer­sität München, des Helmholtz-Instituts Mainz und des GSI Helmholtz­zentrums für Schwerionen­forschung Darmstadt durchgeführt.

Der Vorschlag einer optischen Uhr, die auf der Anregung eines Kernzustandes als ultrastabile Messquelle und Quantensensor beruht, existiert schon seit Langem, hat aber zuletzt mit dem direkten Nachweis des Thorium-229-Isomers für Aufsehen in der wissen­schaftlichen Welt gesorgt. Die Idee dahinter ist recht einfach: Im Gegensatz zu bisherigen Methoden soll nicht die Lichtfrequenz eines elektronischen Übergangs in einem Atom den Takt für die Uhr vorgeben, sondern eine Übergangs­frequenz in seinem Atomkern selbst. Der Vorteil liegt auf der Hand: Der Atomkern ist kompakter und hat kleine elektromagnetische Momente und ist daher weniger empfindlich gegenüber äußeren Störfeldern, was eine besonders hohe Genauigkeit der Uhr verspricht. Außerdem wird der Strahlungs­übergang des Thorium-229-Kernisomers im ultravioletten Bereich des elektro­magnetischen Spektrums erwartet, was den Zugang zur Entwicklung von UV-Lasern für die optische Kontrolle ermöglichen sollte. Dies wiederum kann nur erreicht werden, wenn der strahlende Kernübergang mit optischen Methoden beobachtet und genauer analysiert wurde.

Der bisherige Ansatz bestand darin, das gewünschte Kernisomer über den Alphazerfall von Uran-233 zu besetzen, dessen Abregung zum Kern­grundzustand jedoch nicht die Emission des charak­teristischen Lichts aus dem Kern ermöglichte. Bei den Experimenten am Cern wurde das Kernisomer durch den radioaktiven Betazerfall von Actinium-229 erzeugt, das zuvor mit kinetischen Energien von dreißig Kilo­elektronenvolt in Calciumfluorid- und Magnesiumfluorid-Kristalle implantiert worden war. Mithilfe der Vakuum-Ultraviolett-Spektro­skopie wurde das von den Kristallen unter günstigen Radiolumineszenz-Bedingungen emittierte Photonenspektrum untersucht – und die lange gesuchte Spektral­linie bei einer Wellenlänge von 148 Nanometern konnte schließlich identifiziert werden. „In unseren Experimenten wurde eine klare Signatur des Strahlungszerfalls des Thorium-229-Kernisomers beobachtet. Dadurch konnten wir die Anregungs­energie mit siebenfach höherer Genauigkeit im Vergleich zu früheren Messungen neu bestimmen. Und sogar die Halbwertszeit des Strahlungs­übergangs von etwa zehn Minuten konnte aus unseren Messungen abgeschätzt werden“, sagt Mustapha Laatiaoui, Nachwuchs­gruppenleiter an der JGU, der an den aktuellen Experimenten beteiligt war.

Die vorgestellten Ergebnisse sind in zweierlei Hinsicht bahnbrechend für die Entwicklung einer Atomkernuhr: Zum einen erlaubt die verbesserte Unsicherheit der Anregungs­energie eine Verringerung des Abtastbereichs und ist damit ein wichtiger Eingangs­parameter für die Entwicklung eines geeigneten Vakuum-Ultraviolett-Lasersystems. Zum anderen zeigt die Beobachtung des Strahlungs­zerfalls in einem Kristall mit großer Bandlücke die Machbarkeit einer Festkörper-Kernuhr mit erwarteter höherer Stabilität im Vergleich zu modernen Atomuhren. Die Realisierung einer auf Kernübergängen basierenden Uhr verspricht faszinierende Anwendungen sowohl in der angewandten als auch in der Grundlagen­physik, von der Geodäsie und Seismologie bis hin zur Untersuchung möglicher zeitlicher Veränderungen von Natur­konstanten.

JGU Mainz / LMU / JOL

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