02.01.2020 • Biophysik

Helga fliegt zum Mond

Experiment zur Messung der Strahlenbelastung auf den weiblichen Organismus auf dem ersten Orion-Flug zum Mond und zurück.

Die Weltraumstrahlung außerhalb des schützenden Erdmagnet­felds ist hoch – eine große Belastung für den menschlichen Körper und eine Heraus­forderung für die zukünftige astron­autische Raumfahrt zu Mond und Mars. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR forscht zur Bestimmung des Strahlen­risikos für die bemannte Raumfahrt. Eines der Projekte, welches die Wissen­schaftler gemeinsam mit der Nasa, der isra­elischen Raumfahrt­agentur ISA und den Firmen Lock­heed Martin und StemRad durchführen, ist das Projekt Matroshka AstroRad Radiation Experiment, MARE.

Im Herbst 2019 war Thomas Berger vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrt­medizin, der wissen­schaftliche Leiter des Projekts, mit seinem Team zum Fit-Check bei der Nasa in Houston, Texas. Mit zwei Dummys, die den später zum Mond fliegenden Phantomen Helga und Zohar in Größe und Gewicht identisch sind, probten die Orion-Techniker vor Ort den Einbau in das Raumschiff. „Zunächst mussten die Techniker testen, ob sie Helga und Zohar in ihren Transport­rahmen durch die Luke in die Orion-Kapsel tragen können. Beide Phantome wiegen jeweils fünfzig Kilogramm, Zohar mit der AstroRad-Weste sogar 76 Kilogramm. Drei bis vier Nasa-Techniker sind für den Einbau nötig“, erklärt Berger, der die Abteilung Strahlen­biologie leitet. „Die Kommando­kapsel der Orion ist eng, aber es hat gut funktio­niert. Und auch unser Rahmen, mit dem die Messkörper mit dem Raumschiff verbunden werden, passte perfekt. Mit zwölf Befestigungs­schrauben werden die ‚Passagier­plätze‘ im Raum­schiff fest verankert“, so Berger weiter.

Der Fit-Check im Orion-Raumschiff verlief erfolgreich, ebenso wie die Vibrations­tests am DLR-Institut für Raumfahrt­systeme in Bremen, mit denen die Belast­barkeit der Verbindung der Phantome auf den „Plätzen“ geprüft wurde. Kürzlich traf die israelische AstroRad-Strahlen­schutz­weste im DLR-Institut für Luft- und Raumfahrt­medizin in Köln ein. Der nächste größere Schritt folgt jetzt im Januar. „Dann besucht uns der Industriepartner StemRad, der die Strahlen­schutz­weste AstroRad entwickelt hat. Zusammen werfen wir einen genauen Blick auf die Weste und Zohar, die sie beim Flug zum Mond tragen wird. Wenn nötig, passen wir die Weste für den optimalen Sitz nochmals an. Anschließend werden wir unsere eigenen Sensoren sowie die der Partner und beteiligten Wissen­schaftler in Zohar und Helga einbauen“, zeigt sich der Strahlenphysiker Berger opti­mistisch. Aktuell plant die Nasa den Mondflug der Orion für Herbst 2020.

Die DLR-Matroshkas der neuen Generation sind weiblich

Matroshkas sind Phantome, dem menschlichen Torso nach­empfundene Mess­körper. Mit ihnen hat das DLR bereits viel Erfahrung: Zuletzt war eine zwischen 2004 und 2011 auf der Interna­tionalen Raumstation (ISS). Außen auf der ISS angebracht, sammelte sie Strahlungswerte eines Astronauten, der einen Weltraum­spaziergang absolviert. Außerdem hielt sich das Phantom im russischen und japanischen Teil der Raumstation auf, um die Strahlen­belastung in diesen Teilen der ISS zu messen.

Die neue Generation der Matroshkas ist erstmalig der weiblichen Anatomie nach­empfunden. Der Bedarf an Daten über den weiblichen Organismus ist groß. Schließlich wird es in Zukunft immer mehr Raumfah­rerinnen geben. Frauen haben ein allgemein höheres Krebs­risiko und darum gelten für Astro­nautinnen stets andere Grenzwerte als für ihre männ­lichen Kollegen. Geschlechts­spezifische Messungen mit Mess­körpern im All gab es bislang nicht.

Zohar wird mit Schutz­weste, Helga ohne Schutz­weste zum Mond fliegen. So sammeln die baugleichen Modelle vergleich­bare Daten­sätze, erstmals jenseits der niedrigen Erdorbits. Insgesamt über sechstausend aktive und passive Sensoren sind jeweils auf der Oberfläche und im Innern der Körper angebracht. Diese bestehen aus Kunst­stoffen unter­schiedlicher Dichten, die – an den anatomisch passenden Positionen im Körper – das menschliche Skelett und die Organe simulieren. Nach dem Raumflug um den Mond werden die Strahlungs­werte beider Modelle verglichen, um die Wirksamkeit der AstroRad-Schutz­weste bewerten und später, wenn nötig, verbessern zu können.

Ziel der Nasa-Mission Artemis-I ist der erste zunächst unbemannte Raumflug der Orion zum Mond, ihn zu umrunden und zur Erde zurück­zukehren. Die Flugzeit wird zwischen 26 und 42 Tagen betragen. Dabei ist das Experiment MARE als sogenannte secondary oder scientific payload dabei. Das bedeutet, beide Phantome müssen autark vom Raumschiff funktio­nieren. Von der Strom­versorgung bis zur Daten­speicherung – alle Funktionen werden vollkommen unabhängig von der Kapsel sein.

Das DLR hat die Projekt­leitung von MARE, stellt die Phantome zur Verfügung und nimmt alle notwendigen Anpassungen für das Experiment und den Raumflug in der Orion-Kapsel vor. Außerdem konstruieren die DLR-Wissenschaftler die Befestigungs­systeme für die beiden Phantome und werten feder­führend die erhobenen Daten nach der Landung aus. MARE stellt in seiner Komple­xität und in seiner interna­tionalen Zusammen­arbeit mit zahl­reichen Univer­sitäten und Forschungs­einrichtungen in Öster­reich, Belgien, Polen, Ungarn, der Tsche­chischen Republik, Griechenland, der Schweiz, Japan und den USA das größte Experiment zur Bestimmung der Strahlen­belastung für Astronauten dar, das jemals den erd­nahen Orbit verlassen hat. Es liefert grund­legende Daten zur Abschätzung des Strahlen­risikos für die kommenden bemannten Flüge zum Mond.

DLR / OD

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