15.12.2005

Gut entmischt

Warum lassen sich verrührte Suspensionen (fast) nie wieder entmischen?




Warum lassen sich verrührte Suspensionen (fast) nie wieder entmischen?

Wir würden nicht schlecht staunen, wenn wir unseren Milchkaffee umrührten – und plötzlich sammelte sich die Milch an einer Stelle als Tropfen! Doch ein ganz ähnlicher Tropfentrick, der auf den britischen Physiker G. I. Taylor zurückgeht, gelingt ohne Probleme. Dazu injiziert man ein Farbstofftröpfchen in eine Glyzerinschicht, die sich zwischen zwei konzentrischen Zylindern befindet, deren innerer sich drehen lässt. Dreht man den inneren Zylinder in eine Richtung, so verteilt sich der Farbstoff und das Tröpfchen verschwindet. Dreht man den Zylinder aber wieder zurück, so wird das Tröpfchen schließlich erneut sichtbar.

Ist am Ende auch das Vermischen von Kaffee und Milch nicht so irreversibel wie es scheint? David Pine von der University of California in Santa Barbara und seine Kollegen sind dieser Frage nachgegangen. Dazu haben sie eine Suspension aus 0,2 Millimeter großen Plastikkügelchen und einer Flüssigkeit gleicher Dichte in den 2,5 mm breiten Spalt zwischen zwei konzentrischen Zylindern gebracht. Der Innenzylinder drehte sich periodisch abwechselnd nach rechts und nach links. Dies verursachte eine Scherbewegung der Flüssigkeitsschicht, die die Plastikkügelchen in Bewegung setzte. Einige der Kügelchen waren gefärbt, sodass man durch den transparenten Außenzylinder hindurch ihre Bewegung verfolgen konnte.

Die Kügelchen waren so groß, dass die Brownsche Molekularbewegung bei diesem Experiment keine Rolle spielte: Sie verursachte während einer Schwingungsperiode des Zylinders (die zwischen 5 s und 100 s lag) eine Verschiebung der Kügelchen um lediglich 10 Nanometer. Bei Taylors oben erwähntem Farbstoffexperiment hingegen macht sich die Brownsche Bewegung nach einiger Zeit störend bemerkbar, indem sie den Farbstofftropfen vor seinem Wiedererscheinen mehr oder weniger stark auseinander diffundieren lässt. Diese molekular verursachte Irreversibilität war für die Plastikkügelchen unerheblich.

Tatsächlich konnten die Forscher beobachten, wie sich die Suspension zunächst reversibel verhielt. Wenn die Teilchenkonzentration oder „Volumenfraktion“ der Suspension nicht zu hoch war (weniger als 10 Volumenprozent Kugelanteil) und die Auslenkung des Zylinders nicht zu groß, dann kehrten die Kügelchen nach jeder Rotationsschwingung des Zylinders an ihren Ausgangsort zurück. Vergrößerten die Forscher aber die Auslenkung des Zylinders, so trat bei Überschreiten einer kritischen Auslenkung irreversibles Verhalten auf: Die Kügelchen kehrten nun nicht mehr zu ihren Ausgangpositionen zurück, sondern wanderten regellos in der Flüssigkeit herum.

Diese Bewegungen sahen sehr „diffusiv“ aus. Und tatsächlich: Die mittlere quadratische Verschiebung der Kügelchen, sowohl parallel als auch senkrecht zur Zylinderbewegung, folgte einem Diffusionsgesetz: <d(t) 2> = 2Dt. Dabei war die Diffusionskonstante parallel zur Zylinderbewegung größer als diejenige senkrecht dazu. Als die Forscher die Konzentration der Suspension erhöhten, stellten sie fest, dass das irreversible Verhalten bei immer kleineren Zylinderauslenkungen einsetzte. Die Messungen ergaben, dass die kritische Auslenkung A von der Volumenfraktion f abhing wie: A ~ 1/f 2.

Wie kam das irreversible Verhalten zustande? Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Bewegungen von mehr als zwei Partikeln in einer viskosen Flüssigkeit chaotisch sein können. Wenn sich also in der Suspension drei der Plastikkügelchen zu nahe kommen, so werden ihre Bewegungen chaotisch und – selbst bei noch so kleiner (aber positiver) Unsicherheit in den Anfangsbedingungen – letztlich unvorhersagbar. Das hat zur Folge, dass nach einer solchen Dreierkollision auch das Rückdrehen des Zylinders die Kügelchen nicht wieder an ihre Ausgangspositionen zurückbringen kann. Das Verhalten der Suspension ist irreversibel geworden. Je größer die Volumenfraktion der Kugeln in der Suspension ist, umso größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Dreierkollision kommt. Die daraus folgenden chaotischen Bewegungen der Kugeln führen dann zur beobachteten Diffusion.

Dass Teilchenkollisionen für das irreversible Verhalten der Suspension bei Scherbewegungen verantwortlich sind, hilft einem nicht wirklich weiter, wenn man versehentlich Milch in den Kaffee gerührt hat. Aber es könnte das Verhalten von Suspension z. B. in der pharmazeutischen Industrie oder für katalytische Prozesse berechenbarer machen.

Rainer Scharf

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