12.11.2019 • Astrophysik

Galaktische Quellen und Karussells

Simulation zeigt, wie im Kosmos Ordnung aus Chaos entstand.

Bei kosmologischen Simulationen müssen sich Astrophysiker mit Blick auf die verfügbare Rechen­leistung entscheiden: entweder sehr detail­getreu simulieren oder ein großes Volumen an virtuellem Raum umfassen, aber nicht beides. Detaillierte Simulationen mit stark begrenztem Volumen können nicht mehr als ein paar Galaxien modellieren, was statistische Rückschlüsse erschwert. Großräumigen Simulationen wiederum fehlen typischer­weise die notwendigen Details, um wichtige Eigenschaften auf kleineren Skalen zu erklären. Wissenschaftler aus Deutschland und den USA haben jetzt die Ergebnisse einer neuen, besonders umfangreichen Simulation der Evolution von Galaxien vorgestellt. TNG50 ist die bisher detail­reichste kosmologische Großsimulation. Sie ermöglicht es im Detail zu untersuchen, wie sich Galaxien bilden und wie sie sich von der Zeit kurz nach dem Urknall bis heute entwickelt haben. Die Simulation zeigt zum ersten Mal, dass die Geometrie der kosmischen Gasflüsse in und um Galaxien die Struktur der Galaxien beeinflusst und sich die Eigenschaften jener Gasflüsse umgekehrt wiederum aus der Evolution der Galaxien ergeben.

Abb.: Simuliertes Bild einer Scheibengalaxie aus der TNG50-Simulation im...
Abb.: Simuliertes Bild einer Scheibengalaxie aus der TNG50-Simulation im sichtbaren Licht. (Bild: D. Nelson, MPA / Illustris-TNG-Team)

In einem simulierten würfel­förmigen Ausschnitt des Weltalls mit Seiten­längen von 230 Millionen Licht­jahren kann TNG50 physikalische Phänomene darstellen, die auf einer Million Mal kleineren Skalen auftreten und so die gleichzeitige Entwicklung Tausender von Galaxien über 13,8 Milliarden Jahre kosmischer Geschichte hinweg verfolgen. Die Bausteine der Simulation sind dabei 20 Milliarden „Teilchen“, die dunkle Materie, Sterne, kosmisches Gas, Magnetfelder und super­masse­reiche schwarze Löcher darstellen. Die Berechnung selbst erforderte 16.000 Computerkerne auf dem Supercomputer Hazel Hen in Stuttgart, die mehr als ein Jahr lang rund um die Uhr am Rechnen waren.

Zu den ersten wissenschaftlichen Ergebnissen von TNG50 zählen einige unerwartete Phänomene. „Numerische Experimente dieser Art sind besonders erfolgreich, wenn mehr herauskommt, als man hinein­gesteckt hat“, sagt Dylan Nelson vom MPI für Astrophysik. „In unserer Simulation sehen wir Phänomene, die wir nicht explizit vor­program­miert hatten. Diese Phänomene ergeben sich auf natürliche Weise aus dem Zusammenspiel der grund­legenden physikalischen Bestandteile unseres Modell­universums.“

TNG50 liefert zwei eindrückliche Beispiele für diese Art von emergentem Verhalten. Im ersten Beispiel geht es um die Entstehung von Scheiben­galaxien wie unserer Milchstraße. Mit TNG50 konnten die Forscher die kosmische Geschichte zurückspulen und sich dann systematisch ansehen, wie die schnell rotierenden Scheiben­galaxien mit ihren geordneten Stern­bewegungen aus den chaotischen, ungeordneten und hoch turbulenten Gaswolken früherer Epochen hervor­gehen. Nach und nach kommt das Gas dabei zur Ruhe und Sterne, die aus diesem Gas entstehen, finden sich damit immer häufiger auf Kreis­bahnen und bilden schließlich eine große Spiral­galaxie als eine Art galaktisches Karussell.

„TNG50 zeigt, dass sich unsere Galaxie mit ihrer dünnen Scheibe voll im Trend befindet“, sagt Annalisa Pillepich vom MPI für Astronomie. „In den vergangenen zehn Milliarden Jahren sind zumindest diejenigen Galaxien, in denen noch neue Sterne entstehen, immer scheiben­artiger geworden, und ihre chaotischen inneren Bewegungs­muster haben sich deutlich abgeschwächt. Das Universum war viel chaotischer als heute, als es nur ein paar Milliarden Jahre alt war.“

Und noch ein weiteres emergentes Phänomen haben die Wissenschaftler bei der simulierten Evolution der Galaxien ausgemacht: Gas und Teilchen­winde, die mit hoher Geschwindigkeit aus den Galaxien ausströmen. Hervorgerufen wird dieses Phänomen durch Supernova-Explosionen und durch die Aktivität der super­masse­reichen schwarzen Löcher in den Zentren von Galaxien. Das Gas verlässt die Galaxie dabei zunächst in beliebige Richtungen – eine chaotische Situation. Aber mit der Zeit, und das wurde nicht von vorn­herein einprogrammiert, spielen sich die Gasströmungen auf einen Weg des geringsten Widerstands ein. Im späten Universum strömt das Gas dann typischer­weise in zwei entgegen­gesetzte Richtungen innerhalb von kegel­förmigen Regionen mit der Galaxie in der Mitte aus. Solche Strukturen findet man auch in den astro­nomischen Beobachtungs­daten.

Unter dem Schwerkraft­einfluss des Halos an dunkler Materie, in dem sich die Galaxie befindet, werden diese Winde dann immer langsamer. Sie können sie auf die Ursprungs­galaxie zurückfallen und diese mit recyceltem Gas versorgen. Der Prozess sorgt außerdem für eine Umverteilung des Gases vom Zentrum einer Galaxie in ihre Außenbezirke und beschleunigt damit die Umwandlung der Galaxie in eine dünne Scheibe: Galaktische Strukturen bringen galaktische Fontänen hervor und umgekehrt.

Ebenso wie die anderen Simulationen der TNG-Familie werden die Wissenschaftler des TNG50-Teams ihre Simulations­daten beizeiten im Ganzen veröffentlichen. Dann können Astronomen weltweit ihre eigenen Entdeckungen im TNG50-Universum machen – und womöglich noch weitere Beispiel für emergente kosmische Phänomene finden, bei denen auf kosmischen Größenskalen Ordnung aus dem Chaos des frühen Universums hervorgeht.

MPIA / RK

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